Angelika Rainer, Luciferin

Buch-CoverObwohl der Stoff eigentlich aus der Pigment-Biologie stammt, ist er wie geschaffen für die Literatur. Luciferin, das wie ein Putzmittel oder ein weiblicher Teufel klingt, ist ein seltsamer Leuchtstoff, halb Verwesung, halb Erotik.

Angelika Rainer schickt eine verrückt sensible Zwergin in die Welt hinaus, damit sie aus verschiedensten Wahrnehmungen Licht in die Dunkelheit pumpt.

Dabei halten sich Verlockung und Verlöschen die Waage, wie eben auch die sprichwörtlichen Leuchtkäfer ihre einsamen Runden drehen und an manchen Abenden mit ihren Unterleibern helle Pigmente in die Biosphäre blasen.

Ich bin zur Zwergin verdammt. / Das gestohlene Huhn, der nächtliche Schrei, der verunstaltete Acker - alles hat Platz im Körper der Zwergin. (27)

Die Ich-Erzählerin dreht unermüdlich ihre Beobachtungsrunden in einem Erlebnis-Wald voller Eigentümlichkeiten. "Sagen tun sie" heißt die Formel, mit der in entlegenen Gegenden alles zu einem Gerücht gemacht wird. Die Menschen werden danach beurteilt, was andere über einen sagen, und so ergibt sich aus einzelnen Sätzen von Hörensagen die Biographie eines widerständigen Ichs.

Im zweiten Abschnitt wird eine Art Weltordnung im Beobachtungschaos eingefügt, sag was du siehst, und sag Sonne, wenn die Sonne gemeint ist. Das Unglück läuft im Präsens ab, dieses Zitat von Samuel Beckett überschreibt das lyrische Ich bei dramatischen Verrichtungen.

Mit dem Vergessen setzt Ruhe ein. / Übrig bleiben das Feuer und ich. (30)

Das Hauptkapitel besteht aus vielen Reden an die Nacht, die gefeiert und zum Leuchten gebracht wird. Ein Nachspann zur Nacht ist Friederike Mayröcker gewidmet.

Sie kennt den Namen des leuchtenden Stoffes in den Organen der Käfer. / Er ist Luciferin genannt worden. / Er hält sich im toten Körper des Käfers. (62)

Die Einsamkeit des Leuchtwürmchens beendet diese Poesie des kalten Lichts. "the very lonley firefly" zählt Vorgänge auf, die ein Insekt zum Leuchten bringen. In der Mythologie der Botanik werden verschiedene Zaubersprüche angerufen, biologische Zeremonien nach seltsamen chemischen Formeln zum Schwingen gebracht, ehe alles in dem lapidaren Merksatz endet:

Der Leuchtkäfer leuchtet. Es ist Dämmerung oder Nacht. (72)

Luciferin ist ein spielerisch daher tänzelndes Poesie-Konglomerat aus Erzählung, Einsamkeit, sozialer Randlage und botanischem Bestimmungsbuch. In einem Sperrbezirk voller Elfen und hauchzarter Waldbewohner verglühen Nacht für Nacht die besten Einfälle und Sehnsüchte.

Abgehoben von der Schwerkraft erotisieren Leuchtstoffe die Umgebung, ehe für verschollen gehaltene Unterleiber sich geheimnisvoll begatten, umschwärmen, mit Poesie beträufeln. - Ein verrückt schöner Kosmos von Einfältigkeiten!

Angelika Rainer, Luciferin.
Innsbruck: Haymon 2008. 75 Seiten. EUR 14,90. ISBN 978-3-85218-560-6.

 

Weiterführender Link:
Haymon-Verlag: Angelika Rainer, Luciferin

 

Helmuth Schönauer, 16-06-2008

Bibliographie

AutorIn

Angelika Rainer

Buchtitel

Luciferin

Erscheinungsort

Innsbruck

Erscheinungsjahr

2008

Verlag

Haymon

Seitenzahl

75

Preis in EUR

14,90

ISBN

978-3-85218-560-6

Kurzbiographie AutorIn

Angelika Rainer, geb. 1971 in Lienz, lebt in Wien.