hannes hofinger, die leiche in der löwengrubeKrimi ist als Genre und Gesellschaftstreiben die am häufigsten verwendete Kategorie, um sich  purem Vergnügen oder Verbrechen hinzugeben. – Die literarische Sorte Krimi spendet unter Garantie einen Roman mit Handlung, der wegen seiner klugen Gliederung ein ständiges Absetzen und Wiederaufnehmen von Lektüre ermöglicht.

Da die meisten Krimis heutzutage mit KI geschrieben sind, wird es nicht mehr lange dauern, bis auch die Leser eine KI verwenden, um möglichst viele Krimis ohne Aufwand zu bewältigen.
Hannes Hofingers Krimi von „Der Leiche in der Löwengrube“ wird von zwei Zugängen gespeist:
  a) das Genre Krimi wird an die Grenze der Groteske und süffisanten Überschätzung geführt,
  b) das Treiben der Gemeinde wird als Hotspot krimineller Machenschaften gezeigt, die als Tagesgeschäft getarnt sind.

margit weiss, maddalena gehtJeder Auftritt kann das Ende oder den Anfang bedeuten. – Jenseits aller Geschichtsschreibung sind es die Hebammen, die in einem Tal das Leben auf die Welt bringen oder den Tod dokumentieren.

Margit Weiß erzählt am Beispiel der historisch abgesicherten Biographie der Hebamme Maddalena Decassian, wie um 1900 ladinische Täler eher einer Sagenwelt verpflichtet sind als einer aufgeklärten Notwendigkeit, die Wahrheit auch einmal in Echtzeit auszusprechen.

Zu Beginn rast gleichsam die Hebamme von einer Geburt zur nächsten, meist geht alles zumindest biologisch gut, manchmal gilt es auch, ein totes Kind zu vermelden getreu einer alten Hebammenweisheit: „Du musst aufhören, den Tod und das Leiden zu bekämpfen. Sie sind stärker als du.“ (245)

martin kolozs, kreuzwegeAlle Menschen unterliegen biographischen Kreuzwegen, wenn sich eigene Lebenslinien mit solchen anderer Zeitgenossen kreuzen. Im religiösen Ambiente versteht man unter Kreuzweg eine leidende Auslegung des Schicksals, im strengen katholischen Ritual hat sich daraus das Genre des Kreuzwegs herausgebildet, dabei werden in vierzehn Episoden die Leidensstationen Christi auf seinem Weg hin zur Kreuzigung nachempfunden und nachgebetet.

Martin Kolozs greift in seiner Auftragsbiographie „Kreuzwege“ zur Dramaturgie dieses Genres, indem er das Schicksal der Tiroler Jesuiten Johann Schwingshackl und Johann Steinmayr miteinander verschränkt und sie anschließend durch die politische Zeit des Nationalsozialismus begleitet, dem sie schließlich zum Opfer fallen: Beide werden hingerichtet.

andreas niedermann, alte schuleDer Dichter ist in die Berge abgehauen und gilt als verschollen, das Publikum ist ungeduldig, es hat zwei Bücher über schwere Helden-Entgleisung gelesen und will wissen, wie die Geschichte zu Ende geht. Die Heldin „Blumberg 3“ sitzt in der Psychiatrie und und bietet in hellen Momenten an, ihr kriminelles Leben fertig zu erzählen. – Eine ideale Ausgangsposition für einen Roman, als ein Verleger den erlösenden Schreibauftrag vergibt, um endlich alle von der Last der nicht-erzählten Geschichte zu erlösen.

Andreas Niedermann lässt das Konzept für seinen „Roman noir“ knapp durchschimmern als eingedampfte Literaturtheorie: „Bücher entstehen aus Büchern, Leben und Lügen.“ (86)

christian kössler, schatten über dem innWer eine Stadt wirklich erkunden will, muss hinter die Fassaden der Häuserzeilen blicken. Während das Navi gute Dienste leistet beim Abschreiten der Objekte, braucht es für die Geister, die dahinter stecken, meist ein Archiv, worin die historischen Seelen gespeichert sind. Die Aufgabe eines Seelen-Erweckers besteht darin, die einzelnen Quellen ausfindig zu machen und ihnen den Stöpsel zu ziehen, um die flüchtigen Gespenster in die Gegenwart zu entlassen.

Christian Kössler hat als Bibliothekar einen sechsten Sinn für makabre, gruselige und hintersinnige Geschichten entwickelt. In regelmäßigen Abständen schreitet er diverse Archivregale ab, nimmt Sagenbücher und Quellen-Schwarten aus dem Regal und zieht den Büchern den Stöpsel. Dadurch entlässt er eingesperrte Geister und tritt mit ihnen anschließend vor einem fröhlichen Publikum auf.

kurt lanthaler, vorabbericht in sachen der zona cesariniEine Biographie wird umso genauer, je mehr Abschweifmöglichkeiten und Seitenthemen sich entlang des Heldencharakters entwickeln.

Kurt Lanthaler gilt als Meister der „Delta“-Beschreibung. Im Roman „Das Delta“ (2007) verliert sich ein Held im Zwielicht des Po-Deltas, feste Materie geht in Schlamm über, Lungenatmung weicht über Kiemen-Konstrukte aus, der Erzählfaden geht verloren, während sich Geschichten um einen schwimmenden Erzählstandpunkt versammeln.

Im „Vorabbericht in Sachen der Zona Cesarini“ bringt Kurt Lanthaler diese vage Erzähllage zur Perfektion, indem er zwischen Argentinien und Italien, den Zauberkünsten Zirkus und Fußball, und den fixen Heldenposen und entgleisten Fan-Gesten einen „Vorbericht“ installiert. Das Genre Roman lässt er dabei nur gelten, wenn es „hinten offen bleibt“, wie man so schön über das literarisierte Leben sagt.

gerda hofreiter, verstossen„Wer sind die „Helden“ der Geschichten? Weil im Gau Tirol-Vorarlberg relativ wenige Juden lebten, ist es möglich, einen kompletten Personenkreis zu erfassen und damit statistische Aussagen zu treffen. So kann man auch von einer leicht lesbaren Prosopografie sprechen. Es wurde ein Sample ausgewählt, das sich durch Ort und Zeit definiert und das nun 101 Personen umfasst …“ (S. 11)

Gerda Hofreiter erzählt in ihrem zeithistorischen Sachbuch von der Geschichte und dem Schicksal von 101 jüdischen Tiroler und Vorarlberger Kindern und Jugendlichen während der Zeit der Herrschaft des Nationalsozialismus in Österreich, die sie in einen breiteren historischen Kontext einbettet.

anton prock, die tiroler habsburger„Wer heute durch Innsbruck schlendert, stößt auf zahlreiche Erinnerungen an die einstigen Landesfürsten. Der Neuhof, verschiedene Klöster, der Vorgängerbau der heutigen Hofburg, Schloss Ambras, die Jesuitenkirche, die Mariahilfkirche, der Leopoldsbrunnen, das Grabmal Erzherzog Maximilians III. des Deutschmeisters im Dom sowie seine Eremitage im Kapuzinerkloster und vieles mehr zeugen von ihrer Herrschaft. (S. 8)

Über knapp 260 Jahre bestimmten die Tiroler Habsburger über Tirol und die Vorlande, dem habsburgischen Streubesitz westlich des Arlbergs. Damit erlebte die Grafschaft Tirol zahlreiche Veränderungen, wie z.B. die Verlegung des Regierungssitzes von Meran nach Innsbruck, das als Zentrum der Politik und als Schnittstelle in alle Himmelsrichtungen in dieser Zeit stark an Bedeutung gewinnen konnte.

elias schneitter, zirler bluesBlues ist eine Lebensstimmung, die sich über eine ganze Jahreszeit, einen Landstrich oder einen kompletten Ort legen kann. Elias Schneitter hat als Erforscher und Herausgeber von Beat-Literatur den Blues quasi am Wegrand geerbt, denn die Grenzen zwischen den beiden Künsten der Peripherie (Beat und Blues) sind fließend.

Obwohl es sich beim Tiroler Ort Zirl um einen berüchtigten Sonnenort mit historischen Weinbergen handelt, sind seine Bewohner durchaus anfällig für eine blaue Stimmung der Melancholie. In diesen Phasen ziehen sich die Menschen auf das Innerste zurück und suchen nach altbewährten Ausdrucksformen, die auf archaischen Gesellschaften fußen. Das können alpine Urlaut-Kompositionen sein, markante Riffs von Beatniks, oder eben Haikus, die den Transport aus dem Japanischen halbwegs überlebt haben.

sepp mall, ein hund kam in die KücheBald werden wir wandern! – Ein Kind deutet die brutale Sprache der Erwachsenen immer so, dass es sich noch aushalten lässt. Der brachiale Begriff vom Auswandern wird für einen Augenblick gemildert, bis er vielleicht wieder von selbst verschwindet.

Sepp Mall vergrößert den Blickwinkel auf die „Option der Südtiroler“, indem er den Stoff für diesen historischen Roman auf ein Kammerstück herunterbricht. Anhand einer Kleinfamilie, die sich 1942 für das Weggehen aus Südtirol entschlossen hat, zeigt sich, wie etwas unten ankommt, was oben entschieden wird. Verschärft wird diese intim-brutale Sicht noch durch einen elfjährigen Ich-Erzähler, der die Ereignisse nehmen muss, wie sie chronologisch kommen.