schachteltexteAm Scharnier zwischen Leben und Tod trifft nicht nur das Individuum seltsame Äußerungen, indem etwa ein Gedankengang im Diesseits beginnt und im Jenseits endet, auch die dabei geschaffenen künstlerischen Werke entwickeln einen moribunden Zustand, indem Teile davon nicht mehr von dieser Welt sind.

Peter Paul Wiplinger geht mit seinen Schachteltexten an diese Todesgrenze, teils aus Gründen autobiographischer Erfahrungen, teils mit der Hoffnung, durch diese Kunstform selbst der Literatur ein Schnippchen zu schlagen und den Tod zumindest zu verblüffen. Die Schachteltexte nämlich sind monumental und fragil und sprengen die Vertriebssysteme der Literatur.

Die Erfindung der SehnsuchtAbrundungslyrik nennt man jene Gedichte, die zwischen den Bücher-Klusen des Hauptwerks beiläufig entstanden sind und das Gedächtnis an den Autor wachhalten, wenn dieser gerade sonst nichts schreibt.

Joseph Zoderer lässt mit filigranen Sehnsuchtsgedichten von sich hören. Seine Gedichte sind Ausdruck eines Lebenszustandes, er steht nämlich ständig unter Schreib-Strom, im Minutentakt kommen ihm Sätze aus der alten Feder, die er zelebriert, anbetet und überall herumträgt.

Eine Million Kilometer durch InnsbruckSpätestens seit den frühen Funkstücken des Peter Handke gilt das Taxi als eines der innigsten Erzählmittel, wenn es um die Geräusche und Geschichten einer Stadt geht. Nicht umsonst hat jede Stadt ein eigenes, unverwechselbares Grundgeräusch.

Gernot Zimmermann ist ein Vierteljahrhundert lang in Innsbruck als Taxler unterwegs gewesen, dabei hat er die sprichwörtliche Million an Kilometern heruntergespult und gut zweihunderttausend Fahrgäste kutschiert. Jeder Innsbrucker ist statistisch gesehen einmal bei ihm in der Fahrgastzelle gesessen.

norbert gstrein, die kommenden jahreEinem Weltroman gelingt es mit ein paar Anstichen, Atmosphäre, Zeitgeist und politischen Status einer Jahresgegenwart darzustellen. So ein Roman wird dann zu einem Referenztext, der wie ein Ohrwurm der Beatles eine Gefühlslage flächendeckend beschreiben kann.

Norbert Gstrein hat um die Allerweltsfloskel „die kommenden Jahre“ einen stillen Roman verfasst, bei dem es gar nicht so einfach ist, ihn durch eine Handlung zu begreifen. Es geht um Vieles, um Oberflächliches wie die Öffentlichkeit, und Intimes wie die Ehe. Über einen vagen Erlebnisstrom sind die Koordinaten von zwei Welten gelegt, der Bücherwelt und der Gletscherwelt.

barbara aschenwald, lichter im bergIn der modernen Tourismusindustrie wird den Gästen eine zweifache Eroberung des Gebirges schmackhaft gemacht. Einmal sollen sie ihre Körper auf diverse Gipfel schwingen, zum anderen sollen sie nach der körperlichen Anstrengung die Sagen, Mythen und Fiktionen aus dem Gestein herausklopfen. Daher boomen Sagen-Safaris, Dorfschreibstuben und Ofengeschichten.

Barbara Aschenwald hat sich für ihre Erzählungen „Lichter im Berg“ auf den Weg nach Galtür gemacht, um den Einheimischen zuzuhören und daraus Geschichten für verweilende Gäste zu machen. Der Paznauner Ort Galtür ist für seine Lawinenkatastrophe in der jüngeren Geschichte bekannt, noch mehr aber für sein psychologisches Aufarbeitungsprogramm, bei dem man Traumatisierte unter anderem mit Geschichten zu heilen versucht.

christine zucchelli, wie tut ein wildes wandern wohlDer Tourismus benötigt jeweils hundert Prozent der Fläche eines Landes. Es gibt keine Ritze und keine Kluse, worin nicht im Verlaufe eines Jahres ein Tourist stecken würde. Tirol ist mittlerweile so erschlossen und touristisch bombardiert, dass man selbst die Literatur nur mehr dann an das Publikum bringt, wenn sie nach touristischen Grundsätzen produziert und aufbereitet ist.

Christine Zucchelli erschließt mit ihrem Wanderführer Landschaft und Literatur gleichsam. Im Gehen lässt es sich am besten denken, wissen wir seit Thomas Bernhard, und über den Gipfeln ist Ruh‘, wenn man Goethe Glauben schenkt. Wenn man zweihundert Jahre im Gebirge zurückblättert, so gibt es keinen Stein, keinen Pfad und keine Kapelle, die nicht von irgendeinem Dichter im Gebirge besungen worden wäre.

helmuth luther, mussolinis kolonialtraumEin nicht zu unterschätzendes Motiv für Migrationsströme ist der sogenannte „Gegenbesuch“. Viele Völker, deren Vorfahren einst von Europäern aufgesucht und heimgesucht worden sind, treten jetzt höflich den Gegenbesuch nach Europa an.

Der Reiseschriftsteller Helmut Luther geht in seinem Abessinien-Buch den Spuren Mussolinis nach, die dessen faschistische Expedition in den heutigen Ländern Äthiopien und Eritrea hinterlassen hat.

judith taschler, davidIn der Literatur tritt das Unwahrscheinliche völlig selbstverständlich auf. Eine Frau kracht mit dem Auto gegen einen Baum und ist tot, sie wird von einem Jungen gefunden, der nicht weiß, dass er gerade die leibliche Mutter birgt.

Judith Taschler erzählt in ihrem Roman David von einer Art literarischer Familienaufstellung. Jede Figur hat darin eine wohl-komponierte Aufgabe, und wenn eine fehlt, wird der Roman sofort unruhig und unrund. Schon beim Eintritt in das Buch stößt der Leser auf der Umschlaginnenseite auf einen seltsamen Stammbaum. Er ist wie üblich über mindestens drei Generationen angelegt, aber nur die Felder der Heldinnen sind ausgeschrieben, die Felder der Zugeheirateten bleiben leer. Erste Lehre aus dem Roman: Wir lesen Stammbäume immer pragmatisch, was wir nicht brauchen können, lassen wir weg.

walter hohenauer, zur hölle mit den bürokratenIm Österreichischen wird der Schrecken oft durch die Verkleinerungsform gesteigert, so ist das Wamperl größer als die Wampe, das Angsterl brutaler als die Angst, und selbstverständlich das Putscherl gefährlicher als der Putsch.

Walter Hohenauer erzählt mit seinem Roman „Zur Hölle mit den Bürokraten“ politisches Neuland, in seinem Polit-Thriller wird durchgespielt, was sich niemand zu formulieren getraut: dass nämlich die angefressenen österreichischen Typen ihre eigenen Floskeln eines Tages wörtlich nehmen und putschen.

hannes hofinger,st. johann in tirolEin guter Bildband springt wie von selbst in die Hand und gibt sich als Spielanleitung für jede Witterung zu erkennen. Einen Bildband wird man im Idealfall nur dann wieder los, wenn man seine Wege nachgeht und sich an den Abweichungen zwischen Bildband-Bild und eigenem Flanier-Bild ergötzt. Nach einer augenzwinkernden Theorie gehen alle Spaziergänger letztlich einem individuellen Bildband nach.

Hannes Hofinger hat das für ihn Naheliegende zu einem Bildband transformiert, das bunte St. Johann in Tirol.