Peter Paul Wiplinger, Schachteltexte 2007-2016

schachteltexteAm Scharnier zwischen Leben und Tod trifft nicht nur das Individuum seltsame Äußerungen, indem etwa ein Gedankengang im Diesseits beginnt und im Jenseits endet, auch die dabei geschaffenen künstlerischen Werke entwickeln einen moribunden Zustand, indem Teile davon nicht mehr von dieser Welt sind.

Peter Paul Wiplinger geht mit seinen Schachteltexten an diese Todesgrenze, teils aus Gründen autobiographischer Erfahrungen, teils mit der Hoffnung, durch diese Kunstform selbst der Literatur ein Schnippchen zu schlagen und den Tod zumindest zu verblüffen. Die Schachteltexte nämlich sind monumental und fragil und sprengen die Vertriebssysteme der Literatur.

Längst ist unsere Gesellschaft zu einer Verpackungsgesellschaft geworden, wobei das Wesentliche die Verpackung zu sein scheint und der sogenannte Content mehr und mehr den Charakter eines unverschämten Bonus annimmt. In den Schachteltexten greift Peter Paul Wiplinger zur Verpackung und setzt ihr als Störung und Irritation des Recyclings jeweils einen Text drauf. Der Bildband „Schachteltexte“ arbeitet daher auf drei Ebenen, der Verpackung, dem Text als Autograph, und der Transkription des Verpackungstextes in reine Schrift.

Text und Hülle gehen dabei eine beinahe dreidimensionale Konsistenz ein. Ein Gedicht, das auf eine Papiertasche geschrieben ist, hat automatisch Volumen, Haltegriffe und einen Hohlraum für etwas, das man vielleicht beim Lesen mittransportieren möchte. Oft sind die Schachteln vor der Beschriftung flachgelegt worden, ausgewalzt, glattgefaltet oder zusammengerissen auf eine Schreibfläche, die dem Text entspricht. Diese beschreibbaren Flächen animieren den Autor einerseits, darauf einen Text zu applizieren, andererseits sind diese Schreibflächen der erste Notnagel, um einen Gedanken schnell zu notieren, ehe er vielleicht verlischt.

Die „Gedichte“ könnte man nach ihrer Form beschreiben, Schachteltexte, Deckeltexte, Medikamentenfaltungen, Mon-Cherie als Folie für ein Poem. Natürlich sollte man auch nach dem Inhalt vorgehen und nach Themen querlesen. Als Leitmotiv kommt diese Kante zum Vorschein, hinter der der Tod wartet, als begleitender Vogel taucht immer wieder ein Uhu auf, den eine ganze Generation eher als Klebstoff denn als Todesvogel empfunden hat.

Der ursprüngliche Inhalt erfährt eine Verpuppung durch die Schreibarbeit und fliegt anschließend als geschriebener Schmetterling auf. Eine Flugreise mit der Airline, ein Bankauszug der frisch verkauften heimischen Bank, eine Ware, die Platinum geheißen hat, ein süßes Mitbringsel für einen schnellen Hausbesuch, Kartonagen für Ostereier – immer ist noch der Hauch der ursprünglichen Verwendung zu spüren, aber alles ist in einen anderen Zustand getreten. So ist vielleicht die ganze Arbeitsweise ein Versuch, das irdische Leben in eine Zeitlosigkeit aus Erinnerung und Dokumentation überzuführen.

Und nach dem vierten, fünften Durchgang durch die Schachteltexte kommt man allmählich mit dem poetischen Textil selbst ins Sinnieren, eine feine Lyrik über kleine Bewegungen, Handgriffe, Windstille oder das Aussitzen einer langen Nacht tun sich auf. Und dann kommt das helle Licht einer Mühlviertler Zeile aus der Kindheit: „und oiss is so schee / und uns geht’s guat“.

Peter Paul Wiplinger, Schachteltexte 2007-2016, 160 Abb.
Wien: Löcker Verlag 2017, 327 Seiten, 49,00 €, ISBN 978-3-85409-856-0

 

Weiterführende Links
Löcker Verlag: Peter Paul Wiplinger, Schachteltexte 2007-2016
Wikipedia: Peter Paul Wiplinger

 

Helmuth Schönauer, 27-01-2018

Bibliographie

AutorIn

Peter Paul Wiplinger

Buchtitel

Schachteltexte 2007-2016,

Erscheinungsort

Wien

Erscheinungsjahr

2017

Verlag

Löcker Verlag

Seitenzahl

327

Preis in EUR

49,00

ISBN

978-3-85409-856-0

Kurzbiographie AutorIn

Peter Paul Wiplinger, geb. 1939 in Haslach, Gymnasium in Hall in Tirol, lebt in Wien.