Joseph Zoderer, Die Erfindung der Sehnsucht

Die Erfindung der SehnsuchtAbrundungslyrik nennt man jene Gedichte, die zwischen den Bücher-Klusen des Hauptwerks beiläufig entstanden sind und das Gedächtnis an den Autor wachhalten, wenn dieser gerade sonst nichts schreibt.

Joseph Zoderer lässt mit filigranen Sehnsuchtsgedichten von sich hören. Seine Gedichte sind Ausdruck eines Lebenszustandes, er steht nämlich ständig unter Schreib-Strom, im Minutentakt kommen ihm Sätze aus der alten Feder, die er zelebriert, anbetet und überall herumträgt.

Seinen Notaten schreibt er jedes Mal eine genaue Zeitangabe zu, oft steht nur ein einzelnes Wort auf dem Papier, aber durch die Minutenangabe der Entstehung wird es zu einer Stammzelle für ein Gedicht. Und alles kommt dann noch in den Vorlass, muss man wissen, und nur ein paar erlesene Zeilen werden einmal im Jahr gebündelt und zu einem Lyrikband zusammengepresst.

Die Erfindung der Sehnsucht nennt sich das Abschöpfen der jüngsten Lyrik-Notizen. Denn auch wenn die Gebilde meist durch Zeilenumbruch und mittseitige Installation zu Gedichten anschwellen, steckt dahinter oft nur ein notierter Seufzer aus sechs bis acht Zeilen.

Wir haben das Fenster / zur Nacht geschlossen / Wir schmücken die Angst / mit frisch gepflanzten Bäumen / und erfinden / singende Vögel auf den Zweigen (38)

In diesem minimalistischen Übernachtungsset sind die Pflichtfelder Vogel, Nacht und Fenster ausgefüllt, der Baum als Ewigkeitssymbol ist frisch upgedatet, und die Vögel sind auf den Zweigen, wo sonst. Hier ist professionell eine Notiz zu einem Gedicht ausgebaut und dementsprechend wehmütig vorgetragen, der Autor ist berühmt für seinen wehmütigen Vortrag, ergibt sich ein schaurig-lyrisches Erlebnis.

Sprachkritik, „wir werden unsere Sprache erst erfinden müssen“ (17), Altersweisheit, „Ich muss alles noch erfinden, was mich ausmacht“ (52), und Anstreifen an den Tod, „Unsere Wiesen sind nicht frei von Toten“ (23) sind verlässliche Schlagwörter, um innezuhalten.

Wenn man die Worte für sich treiben lässt, entsteht durchaus eine flüchtige Stimmung, die wir bei Aufführungen oft mit Lyrik in Verbindung bringen. Wer aber ohne diesen kollektiven Lyrikstrom auf sich alleine gestellt diese Gedichte lesen muss, kommt ganz schön ins Wanken. Und zwischendurch taucht die Frage auf, die man in der Kunst angeblich nicht stellen darf, was soll denn das?

Von nackten Bäumen / fielen Schneewolken / auf das morgendlich verwöhnte Moos / Eine Wand aus Luft / zitterte und du wolltest / nicht mehr lachen (51)

Lyrik steht ja oft mit einem Bein in der Psychiatrie, sagt man im Volksmund, ohne die Art brut dezidiert anzusprechen.

Sagen wir so, die Erfindung der Sehnsucht ist ein nettes Lebenszeichen, dass der Autor noch manchmal schreibt und seinen Vorlass abrundet.

Joseph Zoderer, Die Erfindung der Sehnsucht. Gedichte
Innsbruck: Haymon Verlag 2017, 78 Seiten, 19,90 €, ISBN 978-3-7099-7295-3

 

Weiterführende Links:
Haymon Verlag: Joseph Zoderer, Die Erfindung der Sehnsucht
Wikipedia: Joseph Zoderer

 

Helmuth Schönauer, 19-01-2018

Bibliographie

AutorIn

Joseph Zoderer

Buchtitel

Die Erfindung der Sehnsucht. Gedichte

Erscheinungsort

Innsbruck

Erscheinungsjahr

2017

Verlag

Haymon Verlag

Seitenzahl

78

Preis in EUR

19,90

ISBN

978-3-7099-7295-3

Kurzbiographie AutorIn

Joseph Zoderer, geb. 1935 in Meran, lebt in Terenten und Bruneck.