heinz d. heisl, gereinigter haushaltVielleicht gibt es in der Lyrik so etwas wie poetische Hygiene, wonach die Beteiligten aufgeräumt in sich selber wohnen und so geschützt sind von Lebewesen allzu einfacher Bauart, wie es Viren und Bakterien darstellen. Nur wer den täglichen Attacken als Zwischenwirt standhält, kann seinen künstlerischen Blick stabil halten wie auf einem Stativ.

Heinz D. Heisl hat eben noch von „Dieben im Haus“ erzählt, die zumindest am Papier die Hausordnung stören, und deshalb als Warnung am schwarzen Brett enden. Vielleicht ist auch ein schmutziges Verbrechen im Haus geschehen, und der Tatortreiniger musste eingeschaltet werden.

maddalena fingerle, mutterspracheZwei Südtiroler Autorinnen mischen die Südtiroler Literaturszene auf wie bislang vielleicht n. c. kaser mit seiner berüchtigten Brixner Rede 1969, als er über die verlogenen Literaturbetreiber und andere Sprachwurschtl in Südtirol herzieht.

Bereits 2021 erregt der auf italienisch geschriebene Roman „Lingua madre“ der in Bozen geborenen Maddalena Fingerle größte Aufmerksamkeit, wird zu einem Bestseller, und seine Autorin reüssiert in allen erdenklichen italienischen Preisklassen.Jetzt „vollendet“ die in Pflersch geborene Maria E. Brunner dieses elementare Werk über die Südtiroler Identität, indem sie es ins Deutsche übersetzt. Dadurch wird „Muttersprache“ ein richtig politischer und patriotischer Roman, weil sich auch die mono-sprachlichen Deutschen damit befassen dürfen.

ruth bernardi, totgeschwiegene lebenDas ist der Traum jeder Sprachforscherin: Wenn das Gebiet klein genug ist, und die Sprache überschaubar groß, kann alles rund um diese Sprache von einer einzigen Person entdeckt, gepflegt und für die Zukunft fit gemacht werden.

Rut Bernardi hat die ladinische Sprache rund ums Grödnertal mit Lexika, Essays, Tondokumenten und Romanen ins Bewusstsein der Zeitgenossen gerückt. In ihrer jüngsten Arbeit lässt sie „totgeschwiegene Leben“ aus diesem Rayon wieder auferstehen und gibt ihnen zum ersten Mal eine Sprache.

judith w. taschler, über carl reden wir morgenJe katastrophaler die Gegenwart empfunden wird, umso mehr weichen Romane in die Vergangenheit aus. Eine Familiengeschichte, die kurz nach dem ersten Weltkrieg aufhört, beruhigt aufgewühlte Pandemie- und Kriegsseelen gleichermaßen.

Judith W. Taschler erklärt in einem Begleitinterview zur Präsentation ihres Romans „Über Carl reden wir morgen“, dass sie sich aus dem frustrierenden Pandemiegeschehen ausklinken wolle, weshalb sie einen Stoff recherchiert habe, den eine Mühlviertler Familie so in etwa vielleicht im 19. Jahrhundert erlebt hat. Historie dient also zur Entspannung, weil man immerhin weiß, wie die Geschichte zu einem gewissen Zeitpunkt ausgegangen ist. In diesem Falle endet der Roman gegen 1920 und lässt genug Spielraum, ihn vielleicht bis in die Gegenwart heraufzuführen, wenn diese später einmal weiß, was sie will.

ada zapperi zucker, in südtirol und anderswoWenn einmal das große Wirtschaften die Macht übernommen hat, wird davon auch die Literatur eines Landes berührt. Bei Büchern über Südtirol denkt man meist an Krimis, Hotelprospekte und Sommerfrische-Storys. Kaum jemand kommt auf Anhieb auf die Idee, dass sich unter dem Label Südtirol auch Schicksale, Erzählungen und Lebensgeschichten verbergen könnten.

Ada Zapperi Zucker überrascht Land und Leser mit einer alten Weisheit: Wenn du die Geschichte eines Landes verstehen willst, musst du dir von den Alten erzählen lassen, wie es aus ihrer Sicht gewesen ist. Aus den oft vertrockneten Mündern lassen sich manchmal alte Plots heraushören, sie sind aus klaren Farben wie eine Grundierung von Himmel, wenn die Wolken der Zeitgeschichte aufgerissen haben.

elias schneitter, civettaDas Kind kommt zum ersten Mal in die Provinzstadt und ist erschlagen von der Weite und Undurchdringlichkeit der Stadt. Es kann nur einzelne Wörter lesen und merkt sich den Straßennamen Resselstraße, sollte es verlorengehen. Dort nämlich wohnen Bekannte. Aber o Wunder, der Name Ressel geht ein Leben lang nicht mehr aus dem Kopf, er steht für Abenteuer, Sicherheit und Orientierung. Diese drei Dinge verspricht auch die Literatur, weshalb ein Leser immer Züge des Josef Ressel an sich hat, wie das erwachsene Kind eines Tages bemerkt.

Elias Schneitter trägt schon ein Leben lang die Geschichte des Josef Ressel ungelöst und voller Bewunderung mit sich herum. Lange sind seine Fragmente in diversen Schatullen und Kisten zur Ruhe gebettet gewesen, aber jetzt hat er seine gesammelten Alterskräfte aufgeboten, ist ins Technische Museum in Wien zu den Originalschriften gefahren, und hat eine wundersame Erzählung geschrieben. Diese berichtet in der Verkleidung des Erfinders der Schiffsschraube letztlich davon, wie es einem in Österreich ergeht, wenn man seine privaten Erfindungen dem öffentlichen Geist, dem Kaiser, den Volksvertretern und der Beamtenschaft aussetzt.

klaus rohrmoser, flüsternVon einer Erzählung erwartet man sich eine doppelte Berührung. Einmal soll der Stoff eine unerwartete Nuance liefern wie eine Novelle, und zum anderen soll die Erzählung ein Stück Inszenierung sein. Eine Erzählung wäre damit eine verbalisierte Aufführung für einen einzigen Leser, der eingeladen ist, mit dem Text in der Hand den Abend zu bestreiten.

Klaus Rohrmoser greift auf seine universelle Theatererfahrung zurück, wenn er von der denkbar schärfsten Kante zwischen Leben und Tod erzählt. Die beiden Erzähl-Pole sind Täter und Opfer, Mann und Frau, Jüdin und NS-Scherge.

martin maier, oder soWahrscheinlich die diskreteste Relativierungsformel der deutschen Sprache heißt „oder so“. Wird dieses magische Zeichen für Mehrdeutigkeit einer Behauptung hintangestellt, so schwächt sie einerseits das Behauptete ab, indem etwas gar nicht so klar sein möchte, andererseits bekommen die verwendeten Begriffe Konkurrenz, es kann etwas „gefährlich sein oder so“, der verwendete Begriff könnte durchaus ersetzt werden.

Martin Maier überschreibt seine knapp fünfzig Texte mit diesem „oder so“ und lässt dabei das Genre offen. Manchmal glaubt man eine Parabel zu erkennen, wie sie in der Literaturgeschichte Franz Kafka mit seinem „Gibs auf“ vorgelegt hat, ältere Leser werden an Bert Brecht und seine „Keunergeschichten“ erinnert sein, wenn sich nach einer rätselhaften Problemstellung eine Art didaktischer Ausweg anbietet. Manches ist einfach eingedampfte Performance eines verschwundenen Alltags, und Anhänger des Bildes von der Doppelhelix in biologischen Zellen schwärmen von der Verschränkung, mit der Konnotation und Denotation sich in den Armen liegen.

helmuth schönauer, antriebsloser frachter vor norwegen„In der Erinnerung ist etwas fixiert / indem eine gültige Fassung abgespeichert ist im Hirn / du denkst nicht mehr daran / dass es eine Alternative gegeben hätte damals / sondern alles ist unverrückbar gültig / wie ein Flugschreiber einer abgestürzten Maschine / der Flug mag zwar ungünstig ausgegangen sein / die Daten freilich sind fix“ (S. 16)

Erinnerungen werden trüb und verschwimmen im Laufe der Zeit. Nur die festgehaltenen Wahrnehmungen fixieren sich und werden zur vergangenen Realität. Lyrisch poetische Erinnerungen und Betrachtungen fixierter Ereignisse befreien den eingefrorenen Blick und eröffnen einen Neuen.

hannes hofinger, nasca-healingDer Tiroler Menschenschlag setzt sich generell aus jenen Elementen zusammen, die in touristischen Saison-Prospekten geoffenbart werden. Darin werden Begriffe hochgehalten wie: Schmalz, Almvieh, Brunft, Hormone, Schlitzohr, hinterfotzig, überirdisch oder bodenständig. – Ein Tiroler Roman muss das alles berücksichtigen, was ihn zum schwierigsten Genre der Literatur macht.

Hannes Hofinger nennt sein Projekt des totalen Tirolromans „Nasca-Healing“. Dabei wird gekonnt eine Erzählstaffelei aufgestellt, die Unwahrscheinliches, Reales, Unwirkliches und Geträumtes in Gestalt eines Multi-Hybrids zum Ausmalen bringt. Die Genres Krimi, Schnulze, Romanze, Heimat- und Heiler-Roman sind dabei unauffällig ineinandergesteckt, sodass man bei jedem Umblättern irritiert ist, welche Dramaturgie nun schon wieder am Werk ist.