Ewald Baringer, Kinderstube der Fische

ewald bahringer, kinderstube der fischeFür die Dechiffrierung von Lyrik helfen oft die zwei animalischen Faustregeln: Vögel bedeuten in den Gedichten meist Zeit, und die Fische tauchen immer dann auf, wenn etwas umsonst ist, für die Fisch sozusagen.

Ewald Baringer setzt seine Gedichte vorsichtshalber in den Gap zwischen Ernsthaftigkeit und Augenzwinkern. Gleich im ersten Text stellt er sein Programm vor, demnach sind die Umstände, in denen etwas geschrieben wird, mindestens so bedeutungsvoll wie das Geschriebene selbst. Dem lyrischen Ich kommt daher eine tragende Rolle zu, auch wenn wieder einmal alles scheitert: „heute kein gedicht geschrieben“. Diese Verdruss-Aussage katapultiert das lyrische Ich aber zur großen Empfindsamkeit und Lebensqualität und lässt den Alltag erträglich erscheinen. Regenwetter, Geschirrspüler verstopft, loser online-Verkehr, Recherchen über Verschwörungstheorien, an solchen Tagen ist es gut, nicht zu dichten, und die Leser sind d'accord damit.

Dafür gelingt kurze Zeit später einfach alles und es kommt zu einem gigantischen Gedicht.

das dichteste / dachte ich / und dichtete (8)

Ein großes Thema sind die Verankerungsmöglichkeiten, also jene Nägel, an denen die Gedichte hängen oder einfach nur dösen, in den lyrischen Strom miteinzubeziehen. Dabei helfen Landschaften, eine Muse, Sagenfiguren, die reloaded werden müssen, Alliterationen über Glocken oder Dosis-Angaben wie „musikalische Tagesration“.

Allein aus den Titeln leitet sich schon jene Diskrepanz ab, die zwischen der pathetischen Ankündigung und dem hinterher schwänzelnden lyrischen Schweif durch das Buch ziehen.

Da genügt es, Podersdorf zu sagen, es wird vielleicht schlecht ausgesprochen und hat eine zusätzliche sexuelle Bedeutung, aber es kommt wirklich schlimm, dicke Menschen gehen am Wasser und tragen dumme Gesichter durch die frische Luft und grinsen gnadenlos. Mit wenigen Strichen ist alles gesagt über Podersdorf (63)

Im titelgebenden Gedicht „Kinderstube der Fische“ (58) sind die Begriffe verschwommen, als Laich ausgesetzt in einem gigantischen Wörteraquarium. Dabei zählt offensichtlich ein anmutiger Flossenschlag mehr als die gute Kinderstube der Rhetorik, an der Wasseroberfläche entsteht ein völlig anders Gemurmel als unten in der Tiefe geplant war. Beim ABC des Luftholens will keiner nachsitzen.

Zeitweise lustig nennt das lyrische Ich jenen Zustand, der offensichtlich schon stark von Alzheimer durchlüftet ist.

kurzzeitgedächntis im argen / vergleich schreib ich's auf / und schon verschwunden / da draußen da / drinnen entfallen / der gunst der stunde / da wir alles wussten (71

An manchen Tagen gehen sich nur mehr ganz kurze Geschichten aus, ein kleiner Fähnrich fuhr übers Meer und kehrte nie mehr zurück. Man merkt es der Geschichte an, dass sie nach einer Fortsetzung schreit, sonst wäre sie ja ein pures Für-die Fisch-Gedicht.

Und tatsächlich fährt das lyrische Ich dann auf der gegenüberliegenden Seite fort, indem die Heimkehr des Fähnrichs ausführlich besungen wird.

Ewald Baringer appelliert an die Stimmungsmobilität der Leserschaft, wenn schon gute und schlechte Tage kommen, warum nicht zu den schlechten wenigstens gute Miene machen? Sei es, dass man die Bedeutung aushebelt, indem man sie wörtlich nimmt und so automatisch ins Groteske verfällt, sei es auch, dass man den hässlichen Ausformungen des Alltags Flossen verleiht und eine Stromlinienform dazu. In der Kinderstube der Fische geht es auf jeden Fall fröhlich zu, das ist gewiss.

Ewald Baringer, Kinderstube der Fische. Gedichte
Innsbruck: Limbus Verlag 2018, 94 Seiten, 13,00 €, ISBN 978-3-99039-123-5

 

Weiterführende Links:
Limbus Verlag: Ewald Baringer, Kinderstube der Fische
Wikipedia: Ewald Baringer

 

Helmuth Schönauer, 02-07-2018

Bibliographie

AutorIn

Ewald Baringer

Buchtitel

Kinderstube der Fische. Gedichte

Erscheinungsort

Innsbruck

Erscheinungsjahr

2018

Verlag

Limbus Verlag

Seitenzahl

94

Preis in EUR

13,00

ISBN

978-3-99039-123-5

Kurzbiographie AutorIn

Ewald Baringer, geb. 1955 in Wien, lebt in Klosterneuburg.