Gabriele Petricek, Die Unerreichbarkeit von Innsbruck

gabriele petricek, innsbruckZu einem funktionierenden Programm gehört auch immer eine pragmatische Einschätzung, was möglich ist und was nicht. Dabei kann es sich um ein Ausbildungsprogramm, Lebensprogramm oder Sommerprogramm handeln, wichtig ist stets die Frage, was geht sich noch aus und was nicht.

Gabriele Petricek schickt ihre Heldin durch diverse Waschstraßen der Erzähltheorie, installiert sie wie eine Avatarin in verschiedenen Kulturkreisen und entwickelt sie nach dem Motto künstlicher Intelligenz im Literaturbetrieb. Der Kompositionsvorgang wird „Verfolgungsrituale“ genannt, dabei verfolgen einander die Figuren als beiläufige Verwandte oder Liebespartner, andererseits verfolgen die Figuren einfach diverse Ziele, die sie während der Verfolgung oft aus dem Auge verlieren.

Von acht Erzählpodesten aus setzt sich ein komplexes Erzähl-Ich in Bewegung und lässt vorerst alles laufen und einwirken, ehe es dann vage subsumiert und die Erzählfläche in Quadranten abzuspeichern versucht.

Es beginnt mit dem Aufsuchen des Nullmeridian, der beiläufig als Hügel nach London hineinwinkt. Der Nullmeridian ist ein Begriff der Navigation, indirekt verwendet man dieses Navigieren in der Erzähltheorie, wo etwa die Überschrift als die Nullstufe des Erzählens angesehen wird, während die erstrebenswerte Nullstufe in der Dokumentation die Liste ist. In diesem Netz an Theorien und Spekulationen treibt sich die Hauptfigur herum, die verschiedene Qualitäten der Präsenz aufweist, wie formlos hintereinander gesetzte Zitate zeigen.

„Sie sind nicht zum Spaß in der Stadt, sondern Touristen.“ (13)
„Ich bin irgendwo in Italien.“ (15)
„Statisten. Spielfiguren. Alle. Meine Köder liegen aus“. (21)

Diese Ersteinschätzung der Lage wird im letzten Kapitel „Standortbestimmung“ mit diversem Ideenmaterial und mit allerhand Verdachtsmomenten unterlegt. Dazwischen geht es um Ereignisse, die quer durch Europa angesiedelt sind, sich aber jeder geographischen Fixierung verweigern. So kommt etwa jemand bei einem Kinderbegräbnis vorbei und führt auf der Straße draußen einen Small-Talk über diverse Bestattungsformen, während sich eine Lehrerin drinnen einmischt und sich vorstellt, sie war die Jonglierlehrerin des Kindes. (31)

An anderer Stelle muss jemand mit einem Notpass herumreisen, auf der Suche nach dem echten Pass stößt die Person auf ein Tagebuch, aus dem eine wertlose Karte herauskollert: „Grüße aus Innsbruck!“ (39)

Von diesem Zeitpunkt an mischt sich auch ein gewisser Quehenberger in die Szenerie, er scheint aus Innsbruck zu stammen und taucht in Gesprächen und Erinnerungen vage im Hintergrund auf.

Die Ich-Erzählerin ist indes straff unterwegs, meist lösen Kreuzworträtsel eine Reise aus oder seltsame Botschaften in Zeitungen: Heiligsprechung, 1500 Busse in Niederösterreich! Schriftsteller sollten genau sein, heißt es einmal (137), als eine erzählte Sequenz mehr Unsicherheit auslöst als Klarheit schafft.

Allmählich kommt Innsbruck zum Greifen nah, aber dann verlässt die Heldin den entscheidenden Zug wieder in St. Pölten, ein andermal stockt die Reise knapp vor dem Ziel in Wörgl, und der Anschlusszug fährt nach Bozen und die Heldin verschläft Innsbruck abermals. Jetzt wird es klar, es gibt diese Unerreichbarkeit von Innsbruck.

Dabei hat sich die Schriftstellerin im Hintergrund extra literarische Figuren auf den Leib geschrieben oder dem Quehenberger schöne Sätze über die Stararchitektin Zaha Hadid in den Mund gelegt, die Sprungschanze und die Hungerburgbahn dürfen über diesen Umweg ins Buch.

In einer Art Schlußsequenz schaut die Erzählerin durch ein Fernglas auf eine Schafherde und holt sich den Schäfer heraus, er ist noch verzerrt und am Bauch gebogen, aber als das Glas scharf eingestellt ist, taucht der kommende Held klar im optischen Gerät auf.

Gabriele Petricek erzählt, indem die Ereignisse schräg übereinander gelegt werden, sodass viel Luft und Lebensraum für die einzelnen Figuren entstehen. Die Protagonisten dürfen frei herumrennen und können sich ausspielen wie in einer offenen Installation. Ab und zu nimmt eine Kraft im Hintergrund die Figuren von der Spieldecke und schüttelt diese ordentlich aus. Jetzt kann weitererzählt werden.

Gabriele Petricek, Die Unerreichbarkeit von Innsbruck. Verfolgungsrituale
Wien: Sonderzahl Verlag 2018, 238 Seiten, 19,90 €, ISBN 978-3-85449-492-8

 

Weiterführende Links:
Sonderzahl Verlag: Gabriele Petricek, Die Unerreichbarkeit von Innsbruck
Wikipedia: Gabriele Petricek

 

Helmuth Schönauer, 25-08-2018

Bibliographie

AutorIn

Gabriele Petricek

Buchtitel

Die Unerreichbarkeit von Innsbruck. Verfolgungsrituale

Erscheinungsort

Wien

Erscheinungsjahr

2018

Verlag

Sonderzahl Verlag

Seitenzahl

238

Preis in EUR

19,90

ISBN

978-3-85449-492-8

Kurzbiographie AutorIn

Gabriele Petricek, geb. 1957 in Krems, lebt in Wien.