Antonio Fian, Bis jetzt
Einen Jubiläumsband zum 48. Geburtstag zu ordern, das entspricht genau der Schreibverfassung Antonio Fians. Er greift die Dinge wie ernst auf und verfremdet sie durch eine zu kurze oder zu lange Einschätzung der Lage.
Bei ihm sind die Bretter generell zu kurz abgeschnitten und die Einbauschränke zu lang, aber gerade dadurch sprengt er das Korsett des gewohnten Blicks, meisterhaft ausgeführt in seinen Dramoletten.
Also irgendwie um den fünfzigsten Geburtstag herum gibt es eine Bestandsaufnahme seines erzählerischen Werkes, ?Bis jetzt? erweist sich dabei als gnadenlos aktueller Titel. Die Erzählungen dieser Sammlung sind aus den Reservoirs ?Einöde. Außen Tag? (1987), ?Schreibtische österreichischer Autoren? (1987) und ?Helden, Ich-Erzähler? (1990) gespeist.
In der Abteilung ?Bei Suhrkamp? sind jene Texte versammelt, die es nie bis zu Suhrkamp geschafft haben. Aufregend ist der Versuch, ein Stück schwere österreichische Literaturgeschichte irgendwie auf ewig zu dokumentieren und gleichzeitig dem Phänomen zu huldigen, dass eben alles ein wenig vom Ziel abgedriftet ist.
Die Texte, mittlerweile gut zwanzig Jahre alt, zeigen exakt, worum es damals in den Achtzigern zumindest im Literaturbetrieb gegangen ist. Einmal um diese verhutzelte kleine Heimat, die oft nicht einmal eine Textseite hergibt. Kleine Gehöfte, die eher als karg bewohnte Findlinge denn als Haus durchgehen, Siedlungen so mickrig, dass sie nicht einmal das Schlechtwetter treffen kann, und Einöden, deren Außenfläche ungebremst in die Hirninnenfläche der Bewohner übergeht.
Erzählt wird knapp, die Texte sind ein straffes Diktat, das ein Kopfversehrter Lehrer seinen Schülern im Befehlston einzutrichtern scheint.
Österreich ist schlimme Provinz! (Heute sitzen die Vertreter dieser Provinzgeisteshaltung geschlossen in der Regierung, könnte man ?ab jetzt? sagen.)
Bei den ?Schreibtischtexten? geht es um die österreichische Art, Dichter zu hofieren und daraus so etwas wie Selbstbewusstsein zu destillieren. Der Literaturbetrieb jener Zeit besteht in der Hauptsache aus Getue, die Autorinnen und Autoren haben sich alle Rituale zugelegt, wie sie bei Lesungen mit den Wörtern herumnesteln, Interviews geben oder die unzähligen Dissertanten abspeisen, die alle eine Kleinigkeit zu einem großen Gedankenentwurf ausbreiten. Grandios ist immer noch die Wurstfabrik, in der die Dichter arbeiten und Konserven und Gedichte in einem Aufwaschen herstellen.
Und dann gibt es noch jede Menge Ich-Erzähler, wo jemand ungefragt zu erzählen beginnt, wie er den ersten Fernseher bekommen hat, wie ein Fernsehabend daneben gegangen ist, wie er nicht gewusst hat, dass es einen Unterschied zwischen Männern und Frauen gibt, wie er aus dem Krieg heimgekommen ist und nicht gewusst hat, wie man darüber reden sollte. Der Ich-Erzähler entpuppt sich als der geborene Österreicher, der nur deshalb auf die Welt gekommen ist, um allen zu erzählen, dass er Österreicher ist.
Gerade diese leichte Zeitverschiebung von zwanzig Jahren macht die Geschichten mittlerweile witzig scharf. Antonio Fian setzt ja nicht nur seinen Kollegen gnadenlos das Erzählmesser an, er schneidet fallweise auch selber damit an seiner Gurgel herum. Und wenn Antonio Fian an seinen eigenen Geschichten ausblutet, entstehen dabei gewaltige Lachen tiefen Schreckens, der diesen messerscharfen Stücken innewohnt.
Antonio Fian, Bis jetzt. Erzählungen.
Graz: Droschl 2004. 278 Seiten. EUR 21,-. ISBN 3-85420-652-6.
Helmuth Schönauer 02-08-2004