Jan David Zimmermann, Den Schatten im Rücken

jan david zimmermann, den schatten im rückenEine Neuigkeit, bei deren Lektüre es einem wie Schuppen von den Augen fällt, ist der ideale Stoff für eine Novelle. Dieses Genre erweist sich meist als hartnäckiger als die Gegenwart und lässt den Schluss zu, dass etwas erst dann über den Alltag hinaus von Bedeutung ist, wenn es in einer Novelle Platz genommen hat.

Jan David Zimmermann nennt seine Novelle bedrohlich „Den Schatten im Rücken“. Dort wo den Helden oft eine Waffe an den Rücken gesetzt wird, ist es hier der pure Schatten, der auf den Helden zusteuert. Gleich zu Beginn wird der zitierte Plot vorgestellt: Der „Blaubart-Mythos“ ist zu einer gesellschaftskritischen Studie ausgebaut.

In der klassischen Blaubart-Story beseitigt ein alter weißer Mann mit Bart seine Frauen wie ein männlicher Gottesanbeter, nachdem das sexuelle Geschäft erledigt ist. Der jeweils aktuellen Frau wird aufgetragen, nicht nachzufragen, was es mit einem geheimen Zimmerchen auf sich hat, zu dem nur der blau-weiße Bartträger Zutritt hat. Aber wo immer ein Mensch ein Geheimnis spürt, will er es knacken! Die Frau stiehlt den Schlüssel und sieht ihre ermordeten Vorgängerinnen. Als sie den Schlüssel zurückgibt, bleibt etwas Blut daran kleben, so dass der Bärtige sofort weiß, dass alles auffliegen wird.

In diese Story ist ein moderner Blaubart installiert, der freilich „Blaurücken“ genannt wird in Anlehnung an die Silberrücken im Tierreich, die an der Sozialpyramide an oberster Stelle stehen. Dementsprechend fleischlich und tierisch geht es auf der Führungsebene zu. Der Schlossbesitzer „verwaltet“ seine Frauen in Blaubart-Manier. Während er seine Frau als Ameise im Schloss zurücklässt, fliegt er mit dem Helikopter auf Geschäftsreise oder geht auf die Jagd, wo sich brünftige Hirsche wie in einem Waldbordell über die Hirschkühe hermachen.

„Im Gedärm der Frau gräbt der Blaurücken deren Fremdheit in die Namenlosigkeit um, räumt sie aus, entbaucht den Bauch.“ (14) Der Blaurücken geht unbarmherzig vor, der Frau bleibt nur die erzwungene Duldung dieser tierischen Erotik. „Küsse zerbröseln noch vor der Ausführung.“

Wieder zu Hause auf dem Schloss geht es gleich in die Kraftkammer, denn der Blaurücken muss seinen Bizeps pflegen, damit er später der aktuellen Frau befehlen kann: „Dreh dich nicht in den Schatten!“ Immerhin sollen die Herrschaftsmerkmale selbst in der Dunkelheit wirken.

Bei Tageslicht schreitet der „Rücken“ sein Schlossrevier ab, im Arbeitszimmer lässt es sich vortrefflich mit der Eisenbahn spielen, ehe man später an den Memoiren schreibt.

Das Dorf indes liegt dem Schloss zu Füßen, es herrscht eine Art durchgehender Rausch der Verzweiflung. Über allem liegt „die dünne Schicht des Zivilisierten“ (40) und huldigt dem Motto:

Wir verwenden alles und verstehen nichts. (24)

Dann wird es wieder Abend und der Blaurücken bestimmt, dass über die früheren Frauen nicht gesprochen werden darf, sie sind längst weggeschlossen in der verbotenen Kammer. Darin baumelt deren Kindheit am Fensterkreuz. Das Kapitel, das eng an die Blaubart Story geknüpft ist, endet mit einem „Entschluss“. Das Geheimnis soll gelüftet werden, indem das Schloss entriegelt werden muss. Die Frau gibt den blutigen Schlüssel dem Herren zurück, der beginnt mit einem Würgen an sich und an der Frau, sein Rücken bebt. (55)

Im zweiten Kapitel bricht die Novelle aus ihrer klassischen Vorgabe aus, die Heldinnen emanzipieren sich und sind erstaunt, dass sie dennoch untergehen. Hinter dem Dämon Blaubart scheint nämlich ein anderes Ungeheuer zu stecken, das nicht besiegt werden kann. So haben es bei genauerer Analyse zwar Blaubarts Frauen versucht, ihm Paroli zu bieten, allein das „Fleischliche“ hat sie getötet und sie als Windfahnen auf die Zäune gehängt als Kuss in einem entfleischten Mund. (61)

Im Dorf sind die Untrigen heimisch, sie werden mit Gelächter als solche bezeichnet und sind heimatlos, denn bis zum Horizont gleicht der Raum einer großen Leerstelle. Erst der Strich in der Ferne zwischen Himmel und Erde scheint festen Boden zu versprechen. In diesem leeren Raum feiern die Untrigen einen durchgehenden Fasching zwischen Rausch und „Gedankenniederlegungen“, unter diese Feiern mischt sich der Blaurücken und empfindet es als eine Huldigung an sich selbst. Freilich tritt er nicht alleine auf, sondern als Bund, der Blaurücken ist überall.

Die Untrigen treffen abermals einen Entschluss, sie wollen den Blaurücken enttarnen, seinen Zauber der geheimen Kammer brechen.

Im dritten Kapitel entgleisen die Machtverhältnisse. Der Blaurücken bewässert sich mit anderen Blaubärten an verdorrten Äpfeln. Sie trinken so etwas wie Schnaps, um die Infamie der Übertretung zu überwinden. Der Schlüssel zum Geheimnis der Macht über Frauen und Dörfer steckt im Anus des Herrschenden. Jetzt müssen die Letztklassigen ran, unter den Untrigen vegetieren nämlich die Stillgelegten, wie die akademisch geschulten Tintenbrüder an der Spitze der Gesellschaftspyramide bemerken.

Das Ende ist kurz wie eine gelungene Revolution. Im letzten Kapitel wird dem Blaurücken der Schlüssel zum Geheimnis in den Darm gejagt bis in den Magen hinauf – ein Schatten legt sich über den Rücken.

Jan David Zimmermann erzählt in furioser Knappheit mit den Vokabeln der Gegenwartssoziologie. Die Vorgangsweise hat etwas vom Heinrich Kleist an sich, als dieser die alte Chronik des Michael Kohlhaas mit den Sprachmitteln spitzer Knappheit und eleganter Dynamik zeitlos gemacht hat.

„Den Schatten im Rücken“ ist vielleicht ein dystopisches Bild eines Hafens, in welchem gepfändete Oligarchen nach ihren Jachten schmachten, Frauen in der Versenkung verschwunden bleiben und die Untrigen sich auf Kosten der Stillgelegten zu befreien versuchen mit Räuschen und Fasching.

Jan David Zimmermann, Den Schatten im Rücken. Novelle
Klagenfurt: Sisyphus Verlag 2022, 90 Seiten, 16,80 €, ISBN 978-3-903125-66-7

 

Weiterführende Links:
Sisyphus Verlag: Jan David Zimmermann, Den Schatten im Rücken
Homepage: Jan David Zimmermann

 

Helmuth Schönauer, 08-05-2022

Bibliographie

AutorIn

Jan David Zimmermann

Buchtitel

Den Schatten im Rücken

Erscheinungsort

Klagenfurt

Erscheinungsjahr

2022

Verlag

Sisyphus Verlag

Seitenzahl

90

Preis in EUR

16,80

ISBN

978-3-903125-66-7

Kurzbiographie AutorIn

Jan David Zimmermann, geb. 1988 in Wien, lebt in Wien.