Wolfgang Hermann, Insel im Sommer

wolfgang hermann, insel im SommerWenn etwas gebrochen ist, muss die Literatur wie ein Stützverband um die kaputten Stellen gelegt werden. Dabei ist viel Heilungsglaube vonnöten, sonst wirkt es nicht.

Wolfgang Hermann erzählt in der luziden Form einer Sommergeschichte vom allmählichen Verschwinden der Düsternis, wenn die Trauer sich verflüchtigt. Gleich zu Beginn legt sich Schockstarre über den Icherzähler, er hat in seiner Wiener Wohnung seinen Sohn tot im Kinderzimmer gefunden. Wann das genau gewesen ist, spielt keine Rolle, seither nämlich ist alles anders. „Wenn es geschehen ist, kann man sich das Leben vorher nicht mehr vorstellen.“ (41)

In diesem Zustand der Orientierungslosigkeit werden Kleinigkeiten zu hilfreichen Überlebensbrücken, währen die großen Entwürfe des Trostes geräuschlos an einem abprallen. Der Held hat freilich das Glück, dass ihn diese kleinen Zufälligkeiten ab und zu erreichen. „Eine Frau wie Christina war eigentlich nicht für mich vorgesehen“, (7) heißt es lapidar, als aus dem Nichts heraus eine Affäre entsteht, wie sie sonst nur im Film im Zeitraffer die Seelen berührt.

Mitten in der Trauerschleife taucht Christina im Park auf, sie lässt sich ansprechen und reagiert unkompliziert. Noch im selben Absatz hat sie im Hotel ein Zimmer gemietet, und die beiden Körper können schamlos über einander herfallen. Christina ist verheiratet und bringt die Affären routiniert durch den Alltag. Der Ich-Erzähler will sich gerade hemmungslos auf sie einlassen, da erklärt sie, dass sie von einem anderen schwanger ist.

Jetzt schwappt wieder die große Welle aus Leere über den Helden, wieder hätte er einen guten Grund für Suizid, aber die Lärmschutzmauer entlang der Bahnstrecke ist so unermesslich lang, dass sich keine Stelle findet, um sich auf die Schienen zu werfen. Stattdessen steigt der Derangierte in den Zug und fährt nach Paris, wo er einst jahrelang glücklich gewesen ist. Vielleicht gelingt es abermals, „den Weltwind aufzunehmen“.

Die Stadt ist immer noch eine große Zeitschatulle, in der sich das Leben als Einlegearbeit konservieren lässt. Es gibt sie noch, diese kleinen Hotels, knapp an der Grenze zur Schäbigkeit, die der Kaufkraft des Tourismus aus dem Weg gehen und pures Überleben anbieten.

Als sich der Held wieder in seiner Sprache eingerichtet hat, die es ihm ermöglicht, im Stil eines psychologischen Impressionismus sich selbst als Flaneur durch die Stadt zu schleusen, geht es mit dem Taxi bald einmal hinaus ins Umland. Und als auch dieses erträglich geworden ist, kommt die Provence dran mit ihrem Höhepunkt Montagne Saint Victoire.

In einer Mischung aus Erinnerung, als er noch nicht mit seiner Frau Angela und dem Sohn nach Wien geflüchtet ist, um im Heimatland zu arbeiten, und einer angelesenen Erinnerung, wie sie vielleicht die einschlägige Lektüre des Peter Handke liefert, fährt der Held in fliehender Echtzeit durch die Provence. Oft genügt es, zwischen den heilenden Kiefern herumzustreunen, um bereit zu sein für den nächsten Schritt, das Leben wieder ins Lot zu bringen.

Er trifft eine Mutter mit ihrem wundersamen Kind, das die Fähigkeit hat, zu spüren, wie es den Menschen geht. „Du bist auf der Suche nach dem Damals?“ (36) fragt ihn die Frau unverblümt, und es ergeben sich wunderbare Tage. Der Schmerz über die kaputt gegangene Familienidylle in Wien wird überlagert durch eine unversehrte Wiederholung des Glücks von damals.

Die Frau ist jetzt Künstlerin, die in der abgelegenen Gegend Skulpturen haut, der Sohn Fabius ist jetzt das wundersame Mädchen Maria, das in seiner Unschuld alles versteht.

Der warme Sommer lässt die Nächte mit leichter Kleidung abfließen am Körper, aus dem die bösen Geschichten verschwinden, während gedämpfte Musik dabeisitzt. Die Frau wird am Land bleiben, die Tochter wird den Ortswechsel überstehen, schließlich versteht sie so schon alles.

Das nächste Glück steht als Skulpturen-Ausstellung ins Haus, aber zuvor geht es noch auf eine Pirateninsel, die einfach Insel im Sommer genannt wird.

Der Erzähler erhält noch eine Nachricht, dass Christina gerade entbunden hat, jetzt ist aufgeräumt. Alles ist an seinem Platz, der Sommer im Sommer, das Düstere in der Vergangenheit, das Glück in der Gegenwart. Die Literatur hat ihre Heilkraft ausgepackt und alles zum Guten gewendet.

Wolfgang Hermanns Erzählung überzeugt wie jenes berühmte Märchen, als das Wünschen noch geholfen hat. Zudem besticht seine Erzählweise, weil sie durchlässig ist wie Zeichen auf einem ernstzunehmenden Display.

Wolfgang Hermann, Insel im Sommer. Erzählung
Wien: Czernin Verlag 2022, 71 Seiten, 17,00 €, ISBN 978-3-7076-0754-3

 

Weiterführende Links:
Czernin Verlag: Wolfgang Hermann, Insel im Sommer
Wikipedia: Wolfgang Hermann

 

Helmuth Schönauer, 27-02-2022

Bibliographie

AutorIn

Wolfgang Hermann

Buchtitel

Insel im Sommer

Erscheinungsort

Wien

Erscheinungsjahr

2022

Verlag

Czernin Verlag

Seitenzahl

71

Preis in EUR

17,00

ISBN

978-3-7076-0754-3

Kurzbiographie AutorIn

Wolfgang Hermann, geb. 1961 in Bregenz, lebt in Wien.