Alessandra Dorigato: A Modo Mio.

alessandra dorigato, a modo mioWenn du eine Kultur verstehen willst, musst du sie kochen! – Nicht umsonst hat etwa der europäische Wieser-Verlag ein umfangreich gastrosophisches Angebot in seinem Repertoire und wirbt mit dem Slogan, dass die beste Übersetzung die Küche sei. Auch der Raetia Verlag als wesentlicher Vermittler zwischen den Sprachgruppen legt immer wieder sogenannte Kochbücher auf, um den Kulturtransfer auf der Zunge zergehen zu lassen.

Überhaupt spielen Kochbücher ab einem gewissen Lese-Alter eine tragende Rolle, sprechen sie doch die schwindenden Sinne der Benützer in anregenden Portionen an, und vermitteln vor allem Optimismus, dass die Sache gut ausgeht. Denn jedes Kochbuch sprüht gute Rezepte über den Küchentisch, es gibt keines, das schlechte Arrangements auf den Teller zaubern will.

Mit dem Vortrieb der Digitalisierung haben sich auch die Kochbücher verändert. Die puren Rezepte mit Mengenverhältnissen der Zutaten werden meist am Smartphone mit passenden Apps abgekocht. Die gedruckten Bücher jedoch stehen wie früher die Hausbibel in der Küche und verströmen die Aura der Wertschätzung von Raum und Zeit.

Wer ein Kochbuch benützt, muss sich Zeit nehmen und fremde Räume aufsuchen, die eigenwillige Sprache genießen, mit der die Vorgänge abgeschmeckt werden, und vor allem an Erinnerungen anknüpfen, die das eine oder andere Menü auslöst.

Alessandra Dorigato lässt ihr „A modo mio“ synchron auf Italienisch und Deutsch erscheinen, sagt der Titel doch nichts anders, als dass die persönliche Handschrift überall dort auftreten kann, wo die Hand zum Aufliegen kommt.

Ihr „Kochprogramm“ resultiert aus der eigenen Biographie, in der Lombardei und im Trentino aufgewachsen ist sie als Kind von Mama und Tante mit allen Ritualen in die Kochkunst eingeführt worden. Ihre Wirkungsstätte in Wien entpuppt sich als idealer Kochplatz, um die Rezepte aus der Kindheit in einem aufgeschlossenen Kulturgemenge zur Wirkung zu bringen. Als Netz- und Fernsehköchen ist sie zudem international unterwegs und versucht das große globale Etwas mit den regionalen Ausmaßen von Geschmack und Würze zu kreuzen.

Wie bei alle Sachbüchern liefert auch im Kochbuch das Register den besten ersten Eindruck. Allein schon die Titel der Gerichte zeigen in Richtung Lyrik. Nicht umsonst nennt man ein gelungenes Gericht ja ein Gedicht.

Apfel-Walnuss-Risotto, Eier im Fegefeuer, Kekse mit Parmesan und Pfeffer, Zucchini-Hirse-Frittata – es bedarf einer wohlüberlegten Sprache, um die Speisen noch vor ihrer Zubereitung in Schwingung zu bringen.
Die Autorin benennt ihre Gerichte klug, indem sie regionale Ausdrücke, emotionale Begriffe wie Mutter oder Nonna, und kindliche Umschreibungen von Geschmäckern verwendet. Wenn man im Register einen zauberhaften Begriff entdeckt, versteht es sich von selbst, Genaueres dazu nachzulesen.

Die Koch-Rezepte beginnen, ganz dem Titel „A modo mio“ entsprechend, mit einer kleinen Geschichte, wie es früher war, wie das Essen auf den Tisch gefunden hat, was eine Speise erlebt, wenn sie verreisen muss, wie man die Esskultur ins Gepäck kriegt, und was man an Ort und Stelle erledigen muss.

Verkürzt dargestellt besteht die These darin, dass jeder eine persönliche Kindheit bei Essen abruft. Die Speisen schmecken genauso aufregend, als es einem gelingt, die Konnotation der Kindheit darin zum Schwingen zu bringen.

Die Köchin erzählt eine Geschichte, die der Konsument durch Verkosten zu seiner eigenen macht. Dadurch ist auch gewährleistet, dass diese Küche überall auf der Welt funktioniert, denn dort wo der Verzehr stattfindet, wird es plötzlich bodenständig und authentisch.

Im Kochbuch sind neben diesen Geschichten naturgemäß auch die wichtigsten Rezepte angeführt, das Bildmaterial ist professionell ausghängt wie eine exquisite Ausstellung in einer Galerie.

Der richtige Geschmack tut sich freilich auf der Zunge auf. Nicht nur, dass es tolles Empfinden gibt, wenn die Speise darübersegelt, die Zunge erzählt während der Esspausen auch eine Menge vom Zungenträger und es entsteht: Kultur!

Neben dem Buch von Alessandra Dorigato lässt es sich nämlich nicht schlecht über irgendetwas reden. Wenn jemand das Beste aus seinem Leben erzählt, kriegt es niemand übers Herz, über etwas Trübsinniges zu schwadronieren.

Erfahrene Literaturleser greifen in regelmäßigen Abständen zu einem Kochbuch, um ihre Sinne zu testen, ob sie auch noch aufnahmefähig sind für die Geschichten des Lebens.

So gesehen ist „A modo mio“ ein Anregebuch für Wachsamkeit über alle Sinne hinweg.

Alessandra Dorigato, A Modo Mio. Lieblingsgerichte und Küchengeschichten aus Italien. Abb. (Erscheint auch als ital. Ausgabe „a modo mio. Piatti e storie della cucina italiana“).
Bozen: Edition Raetia 2022, 248 Seiten, 27,50 €, ISBN 978-88-7283-790-0

 

Weiterführende Links:
Edition Raetia: Alessandra Dorigato: A Modo Mio.

 

Helmuth Schönauer, 30-04-2022

Bibliographie

Originaltitel

a modo mio. Piatti e storie della cucina italiana

Erscheinungsort

2022

Erscheinungsjahr

Edition Raetia

Seitenzahl

248

Preis in EUR

27,50

ISBN

978-88-7283-790-0

Kurzbiographie AutorIn

Alessandra Dorigato, aufgewachsen im Trentino, lebt in Wien.