Eva Schreiber, Eine Ahnung vom Ende des Glücks

eva schreiber, eine ahnung vom ende des glücksGlück ist ein treffsicheres Wort, denn alle Sätze damit sind richtig. So lautet eine besonders freche Definition: Glück ist das Ablaufdatum, an dem „es“ vorbei ist.

Eva Schreiber schickt in der Titelgeschichte „Eine Ahnung vom Ende des Glücks“ (131) die beiden am Leben gereiften Freundinnen Ilse und Traude in ein Gespräch, bei dem sie durchaus einen kleinen Schluck Alkohol zu sich nehmen dürfen. Kein Wunder also, dass sie bald auf Glücksmöglichkeiten zu sprechen kommen, die es mit dem Geist aus der Flasche aufnehmen. Beide haben die Kinder erwachsen außer Haus gebracht und die Männer dazu. Wie beim Ausfüllen eines Kreuzworträtsels spielen sie die üblichen Glücksvorstellungen durch und kommen zum Schluss, dass allem der Zauber des Endes innewohnt. Die Beziehungen müssen wohl beendet sein, damit man sie als schön empfinden kann. Aber Traude staunt nicht schlecht, als sie am nächsten Tag beim Zahnarzt sitzt und im Warteraum die Magazine durchgeht, die alle von Wellness und Happiness handeln. Gibt es eigentlich etwas, das nicht glücklich macht? Selbst der Zahnarzt kann zu einem euphorisierenden Gefühl beitragen, wenn der Termin vorbei ist.

In zwanzig Geschichten geht es um „diese Sachen“, die vorbei sind und jetzt manchmal schöngeredet und manchmal im Album einfach überblättert werden.

Die Ursituation über Glücksgespräche liefert ein Meinungsforschungsinstitut, das Agenten in die Haushalte schickt, um zu fragen, wie die Menschen durch die Pandemie gekommen sind. Herr Meier und Frau Gessl (27) lassen sich also auf das Interview ein, das bald aus dem Ruder läuft. Er hat aus dem Gefühl von Burnout heraus beim Institut angeheuert, ehe er merkt, dass eigentlich er selbst das Opfer der Befragungen ist. Sie hat lange als Befragerin gearbeitet und nützt den Fragebogen, um im Ausschlussverfahren alles wegzustreichen, was kein Glück ist. Als die Befragungszeit um ist, empfiehlt Frau Gessl dem Herrn Meier, er soll den Fragebogen selbst ausfüllen, weil die Angaben ohnehin zu nichts nütze sind.

In einigen Erzählfällen geht es um das Versickern der Verwandtschaft in der Umwälzpumpe der Zeit. Meist poppt ein Ereignis aus der Kindheit auf, verströmt Helligkeit und Glücksgefühl, und kaum ist die Situation erinnert, weiß niemand mehr, wer wo umgeht.

Eine spezielle Form des Versickerns von Erinnerungen sind die sogenannten Altersheimgeschichten, wobei die Betonung auf „heim“ liegt, den Geschichten wird nämlich auf schroffe Art heimgeleuchtet.

Trude und Amalie stürmen mit dem Rollator durch das Altersheim. Sie haben das Leben in voller Härte hinter sich gebracht und witzeln über ihre Mitinsassen, wenn diese noch romantischen Sätzen nachtrauern oder gar in grotesker Form des Aufrisses das Alter zu ignorieren versuchen. „Alt sind wir selber, da brauchst du dir keinen Alten mehr aufreißen!“ Der Sarkasmus findet ein jähes Ende, als die eine stirbt und die andere in ein Einzelzimmer geschoben wird.

In einem anderen Fall bewegt sich ein älteres Ehepaar durch den eigenen Garten, als ob es schon im Altersheim wäre. Um die eigenen Macken zu übertünchen, zitieren sie die alte Mutter, wie sie ständig von Indianern geredet hat, die überall hervorlugen. Vielleicht darf man deshalb nicht mehr Indianer sagen, meint der eine, und die andere fügt hinzu, dass Mutter auch überall Araber mit ihren Gespensterkutten gesehen hat. Auch das darf man nur erzählen, wenn man im eigenen Garten ist, wo man schnell hinter einem Beet verschwinden kann, wenn einem ein falsches Wort in die Hose gegangen ist.

Und manche Abschiede brauchen gar das Koma, um die Sprachlosigkeit zu überbrücken. Helga ist zusammengebrochen und liegt verkabelt auf der Intensivstation. Die Nachbarinnen verabschieden sich auf sterile Art. Dann tut sich eine Zeit lang nichts, bis irgendwo die Töchter der Helga auftauchen und der Nachbarschaft formell berichten, dass Helga gestorben sei. – Die Erzählung ist überschrieben mit „Mutter summt“ (46), denn es bleibt eine gewisse Melodie in den Hinterbliebenen, wenn sie an die Verstorbene denken.

„An meine Kinder“ (57) heißt es schließlich in einem Brief, den eine abgehärmte Frau für alle Fälle in einer Schublade hinterlegt hat. Darin muss sie noch loswerden, dass sie eine Zeit lang im Kloster gewesen ist und die spätere Lebensform mit Mann und Kindern als ein Notfallprogramm empfindet, weil es ja mit dem Projekt, glücklich durch Gott‘ nicht geklappt hat.

Mehr Ende als Glück spielt in der Geschichte vom Morbus Pick die Hauptrolle. Eine Frau weiß plötzlich nicht mehr, wo sie ist, und irrt mit dem Wagen durch ein Industrieviertel. Sie ruft ihren Mann an mit der Formulierung: „Bitte halt mich jetzt nicht für blöd.“ (77) Mit Hilfe des Navis gelingt es diesem, die Verzweifelte zu finden und nach Hause zu bringen. Nach dieser Verstörung setzen ärztliche Untersuchungen ein; das bisherige Leben der Frau ist zu Ende, denn die Patienten dieser Krankheit werden oft sehr aggressiv.

Bemerkenswert ist die Auswahl der Vornamen, die das Alter der Heldinnen gut beschreiben, weil sie selten geworden sind. In einem ähnlichen Auswahlverfahren beugen sich mittlerweile Digital-Gangster über die Namenslisten, wenn sie aus dem Darknet heraus neue Opfer suchen, die nicht auf der Höhe der Zeit sind.

Den Abschluss der Glücks-End-Geschichten bilden Kürzestsequenzen, die oft aus einem einzigen Satz bestehen. „Wunsch an den Frisör // Bittschön einen Lama-Kopf, seitlich kurz und oben Schopf!“ (176)

Zum Glück gehört wohl auch ein bisschen Wille, sagt die Ahnung vom Ende des Glücks. Und easy übersetzt lautet der Buchtitel Idea of Happy End.

Eva Schreiber, Eine Ahnung vom Ende des Glücks. Kurzgeschichten
Oberwart: edition lex liszt 12 2022, 188 Seiten, 20,00 €, ISBN 978-3-99016-223-1

 

Weiterführender Link:
edition lex liszt: Eva Schreiber, Eine Ahnung vom Ende des Glücks

 

Helmuth Schönauer, 20-12-2022

Bibliographie

AutorIn

Eva Schreiber

Buchtitel

Eine Ahnung vom Ende des Glücks. Kurzgeschichten

Erscheinungsort

Oberwart

Erscheinungsjahr

2022

Verlag

edition lex liszt 12

Seitenzahl

188

Preis in EUR

20,00

ISBN

978-3-99016-223-1

Kurzbiographie AutorIn

Eva Schreiber, geb. 1962, lebt in Winden am See.