Christine Hochgerner, Nicht nur Hasen schlagen Haken

christine hochgerner, nicht nur hasen schlagen hakenDie Biographien gewöhnlicher Menschen abseits von heroischen Lebensentwürfen gleichen meist haken-schlagenden Hasen. Dabei sind es die Gejagten selbst, die als Jagdträume hinter sich selbst her sind und sich dabei zu Tode hetzen.

Christine Hochgerner erzählt von diesen Hakenschlagenden Menschen aus der Sicht einer erhaben postierten Beobachterin. Die Erzählposition ist reflexiv in die Vergangenheit gerichtet, indem in straffen Plots die Heldinnen am Lebensende vorgestellt werden.

Aber auch die sogenannte Zukunft kommt nicht zu kurz, die meisten dieser abgebrühten Frauen erwarten sich, wenn es schon sein muss, einen unspektakulären Tod und möglichst nichts mehr mit Männern.

Die 13 Erzählungen sind nicht einzeln über ein Inhaltsverzeichnis zu verorten, sondern als Auswurf eines erzählerischen Mikado-Wurfs zu lesen. Alles greift ineinander über, liegt scheinbar zufällig im Buch herum, geht aber doch auf diese eine Hand zurück, welche die Stäbchen geworfen hat.

Bemerkenswert ist die Namenswahl der Protagonistinnen, sie sind augenzwinkernd einer Polizeiliste für verbrechensgefährdete Namen entnommen. Telefonkriminelle zocken bekanntlich Frauen ab, wenn sie alt klingende Namen haben wie Roswitha, Hannelore oder Hedwig.

Die Geschichten setzen mit der Nennung des Namens und einer bemerkenswerten Bio-Zeile ein. Meist genügt es, dass der Beruf der Eltern in den 1950ern genannt wird, um die Heldin in ihrem Korsett zu zeigen, aus dem sie ein Leben lang nicht ausbrechen kann. So schlagen sich die Frauen dann mit mehr oder weniger Haken durchs Leben, ehe sie innehalten, anhand eines winzigen Aha-Erlebnisses zur Ruhe kommen und ironisch eine Geschichte über sich selbst zu erzählen vermögen. Dabei kommen Formulierungen zum Vorschein, die elegant zwischen Lebens- und Binsenweisheit gespannt sind.

„Glück ist ein Geschäft!“ (21)

In der Eröffnungsgeschichte „Drei Frauen“ kommt diese Weisheit in einer wunderbaren Erzählkonstellation zum Ausdruck. Roswitha wohnt im Parterre des Hauses, ihr Mann im ersten Stock. Sie haben sich restlos auseinandergelebt und sich in ihren Etagen einzeln eingerichtet. Dennoch kommt eine Scheidung nicht in Frage, weil Roswitha gelernt hat, dass man hohle Begriffe wie die Ehe aussitzen muss, indem man sie mit persönlichem Lebensstil erfüllt. Außerdem ist Glück ein Geschäft, das man nicht durch Scheidung zerstören darf. Im konkreten Fall freilich verliert der Mann die Nerven, will sich scheiden lassen und mit siebzig noch einmal durchstarten. Roswitha lächelt weise.

Als Lesepublikum ist man von vorneherein auf der Seite der Frauen, die in diesen Geschichten nicht nur den Überblick haben, eine verzwickte Sache auszusitzen, sondern auch jene Zähigkeit, die ihnen einst in der Nachkriegszeit eingeimpft worden ist.

In den Einzelschicksalen zeigt sich individuell gespiegelt jeweils ein Stück Zeitgeschichte. Die Heldinnen, jetzt wohl um die siebzig, sind geprägt von einem Zeitgeist, als für Frauen manche Teile der Öffentlichkeit erst aufgingen und sie zumindest theoretisch mit Berufs- und Statuswahl eine sogenannte Selbstbestimmung erreichen konnten.

Die Realität schaut oft anders aus: In der Geschichte „Mutter-Tochter-Puzzle“ (23) erwartet sich die kränkelnde Mutter wie selbstverständlich, dass sie von der Tochter gepflegt wird, wie wohl sie um die Demütigung der Tochter durch diese Erwartungshaltung Bescheid weiß.

Manche Situationen lassen sich spielerisch lösen nach dem alten Spiel vom „Margariten-Orakel“, wo man so lange an der Blüte zupft, bis entweder „liebt-dich“ oder „liebt-dich-nicht“ herauskommt.

Makaber löst sich ein Verbrechen aus früher Jugend auf. Die Erzählerin sitzt in der Wellness-Zone eines Hotels, während sie ihren unpässlichen Mann auf dem Zimmer liegen lässt. Plötzlich betritt ein alter Kerl die Sauna und beginnt zu schwitzen. Er erkennt sie nicht, aber sie sieht in ihm jenen Vergewaltiger, der ihr ein Kind angedreht hat, das sie nur mit Mühe hat abtreiben können. Das ganze Leben poppt rund um diese Wunde auf und die Erzählerin flieht aufs Zimmer. Später darf sie in der Tages-Chronik des Hotels lesen, dass dieser Sauna-Mann soeben einen Herzinfarkt erlitten hat.

Während die ganze Welt von der Finanzkrise (51) spricht, müssen die Rentnerinnen oft prekär die letzten Cents zusammenkratzen, um sich noch einmal einen Kaffee leisten zu können.

Einer Heldin mit Faible für den Kriminalroman gelingt es, sich so stark mit dem Gelesenen zu identifizieren, dass sie bereit wäre, einen Mord in Rio zu begehen, um später im Gefängnis genug Stoff zu haben für einen selbstgeschriebenen Krimi.

Ziemlich banal wirkt auf den ersten Blick ein gemeinsamer Sturz eines gebrechlichen Ehepaars über die Treppe, wobei der Mann tot übrigbleibt. Die Frau ist sich nicht sicher, ob sie nicht doch mit einem Schubser nachgeholfen hat.

In der „letzten Bleibe“ (111) benehmen sich frisch eingezogene Rentnerinnen wie früher in der WG und müssen befürchten, dass sie auf die Straße gesetzt werden. Aber ihnen ist es egal, sie sind jetzt so jung, dass ihnen nichts mehr passieren kann.

Christine Hochgerner kommt in ihren Storys ohne moralisierendes Beiwerk aus: Die Geschichte hat ihre Flinte angesetzt und die Heldinnen aufs Korn genommen! Diese sind gerannt, bis sie außer Reichweite des Zeitgeists zur Ruhe kommen konnten. Jetzt ist Zeit, sich alles zu erzählen, darüber zu schmunzeln, und das Leben mit dieser Handbewegung abzuwinken: „Alles im Lot“. (65) Da gehört auch Schönreden und Schöntrinken zum Programm.

Christine Hochgerner, Nicht nur Hasen schlagen Haken. Erzählungen
Klagenfurt: Sisyphus Verlag 2023, 141 Seiten, 15,00 €, ISBN 978-3-903125-75-9

 

Weiterführender Link:
Sisyphus Verlag: Christine Hochgerner, Nicht nur Hasen schlagen Haken

 

Helmuth Schönauer, 27-03-2023

Bibliographie

AutorIn

Christine Hochgerner

Buchtitel

Nicht nur Hasen schlagen Haken

Erscheinungsort

Klagenfurt

Erscheinungsjahr

2023

Verlag

Sisyphus Verlag

Seitenzahl

141

Preis in EUR

15,00

ISBN

978-3-903125-75-9

Kurzbiographie AutorIn

Christine Hochgerner, geb. 1954 in NÖ, lebt in Wien.