Schreiben, Lesen und Lesenlernen in der Antike: 1. Mesopotamien und Ägypten

totenbuch des schreibers nebqedMit der Erfindung durch Schriftzeichen sprachliche Informationen und Inhalte festzuhalten, und der damit verbundenen Fähigkeit, diese auch wieder entschlüsseln, also lesen zu können, erlebte die Menschheit einen kulturellen Entwicklungsschub bis dahin unbekannten Ausmaßes. Wer schreiben und lesen konnte, nahm einen elitären und wichtigen Stellenwert innerhalb der antiken Gesellschaften ein.

Erfunden wurden die Schrift in den Hochkulturen Mesopotamiens und Ägyptens, um die Verwaltung einer immer komplexer werdenden sesshaften Gesellschaft bewältigen zu können. Dabei zeigte sich recht bald, dass sich die Schrift neben Verwaltungsaufzeichnungen auch für das Festhalten unterschiedlichster Textformen eignete.

Lesen war im Altertum einer Minderheit vorbehalten. Ohne staatlich organisierten Schul- und Leseunterricht hing die Beherrschung der Lesetechnik davon ab, ob jemand das Lesen aufgrund einer Funktion oder Stellung im Staat, in der Wirtschaft oder Gesellschaft beherrschen sollte und ob sich jemand den Aufwand des Lesenlernens finanziell und zeitlich leisten konnte. Lesen galt somit als Spezialwissen.

Grundsätzlich handelt es sich bei antiken Kulturen vornehmlich um orale Kulturen, sodass schriftlich Verfasstes meist an bestimmte Bereiche und für spezifische Funktionen gebunden blieb. Damit beschränkte sich die Lesefähigkeit auch einem kleinen Kreis von Spezialisten und Interessierten, wobei der gesellschaftlich soziale Hintergrund die Möglichkeit Lesen zu lernen einschränkte und weniger die individuelle Lese- und Schreibkompetenz.

Lesen stand dabei aber immer auch in enger Verbindung mit der Technik und den Medien des Schreibens, die unterschiedliche Anforderungen an die Leser stellten. Es gab sowohl eine Vielzahl an Schriftformen als auch die unterschiedlichsten Trägermaterialien, wie Papyrus, Lehm, Stein, Wachs u.a. Aber auch die Umgebung des Lesens war vielfältig und variierte von privaten Räumen, bis hin zu Archiven und Bibliotheken. All das beeinflusste die Art und Weise des Lesens, vom lauten Lesen und dem Vortrag, was in antiken Gesellschaften vorherrschend war, bis hin zum leisen Lesen. (Vgl. Benjamin Hartmann, S. 704f)

Die Anfänge des Lesens reichen bis in die Anfänge der Entwicklung von Schriften in den Frühen Hochkulturen im ausgehenden 4. Jahrtausend in Mesopotamien und Ägypten. Beide Gesellschaften verwendeten die Schrift vornehmlich für Zwecke der Verwaltung ihrer zunehmend komplexer organisierten Gesellschaft und Wirtschaft.

Lesen und Schreiben in Mesopotamien

In Mesopotamien entwickelte sich die Schrift, um die zunehmend komplexer werdende Kontroll- und Verwaltungsfunktion der Regierung für die Tempelverwaltung zu bewältigen. Daneben wurden aber auch bereits literarische Texte mit historisch-mythischen, kultischen, religiösen aber auch wissenschaftlichen Inhalten niedergeschrieben. Verfasser und zumeist auch Leser dieser Texte waren hauptsächlich fachkundige Schreiber, denen eine spezielle Lese- und Schreibausbildung innerhalb der Tempelverwaltung zu Teil wurde. Erst ab dem 2. Jahrtausend v. Chr. erhielten auch Händler und Angehörige der sozialen Elite Zugang zum Lesen- und Schreibenlernen. Seit der Ur-III-Zeit lassen sich auch weibliche Schreiberinnen nachweisen. Dennoch dürfte der Anteil der Lesekundigen an der Bevölkerung nur wenige Prozent betragen haben. (Vgl. Agnes/Heiss, S. 58)

mesopotamischer priester

Priester wurden innerhalb der Tempelverwaltung zu
fachkundigen Schreiber ausgebildet.


Als Schreibmaterial wurde in Mesopotamien vor allem Ton in Form von gewölbten, rechteckigen handlichen Tafeln verwendet, die mit Hilfe eines Griffels auf beiden Seiten beschrieben wurden. Daneben kamen auch hölzerne Tafeln mit Wachs sowie Rollen aus Leder zum Einsatz. Auch wenn die Leserschaft sehr begrenzt blieb, zeugen die monumentalen öffentlichen Inschriften auf Stein von der hohen symbolischen Bedeutung der Schrift in der Gesellschaft. (Vgl. Benjamin Hartmann, S. 705f)

Für die Schreiberausbildung lassen sich unterschiedliche Curricula nachweisen, die sich zeitlich wie regional stark unterschieden. Die Inhalte umfassten neben religiösen Texten, Sprüche, Hymnen, Gedichte, Modellverträge und lexikalische Listen. Dabei wurde das Curriculum in altbabylonischer Zeit zweisprachig in Sumerisch und Akkadisch ausgerichtet, um die sumerische Sprache und Schrift zu erlernen, was gerade in Zeiten zunehmender politischer Auseinandersetzungen einigend wirken sollte.

In altbabylonischer Zeit kamen die für den Elementarunterricht vorgesehenen Texte und Listen fast im gesamten Land zum Einsatz, wobei das Schulcurriculum in elementar und fortgeschritten untergliedert wurde. Zunächst wurden Silben mit Hilfe von Vokabellisten mit Substantiven aus bestimmten Themenbereichen erlernt, anschließend verfassten die Schüler Sätze und schließlich ganze Texte. Auf den überlieferten Listen lassen sich Substantive der Metrologie, der Grundrechenarten sowie Verbalformen für das Lesen juristischer Terminologie in Modellverträgen finden. Fortgeschrittene Schüler konnten am Beispiel von Sprüchen, Fabeln und didaktischen Stücke den sicheren Umgang mit Texten, die korrekte Grammatik sowie ihre Rhetorik üben und lernen. (Vgl. Agnes/Heiss, S. 59-62)

Lesen und Schreiben im Alten Ägypten

Ähnlich wie in Mesopotamien ermöglichte die Erfindung der Schrift eine zunehmend komplexer werdende Gesellschaft und Wirtschaft zu koordinieren. Daneben stand die bildhafte Hieroglyphenschrift im Dienst des religiösen Kults und der politischen Legitimation. Die Hieroglyphen finden sich als „heilige Zeichen“, als Zeremonialschrift auf den zahlreichen monumentalen Denkmälern. Davon abgeleitet, entwickelte sich die kursive hieratische Handschrift, die für die alltäglichen Verwaltungs- und Organisationsaufgaben zum Einsatz kam. Auch in Ägypten blieb die Lese- und Schreibtechnik speziell ausgebildeten professionellen Schreibern vorbehalten, die sich aus der obersten Schicht der Gesellschaft rekrutierten. (Vgl. Benjamin Hartmann, S. 706)

Der Beruf des Schreibers hatte einen hohen Stellenwert und war mit zahlreichen Vorteilen verbunden, die in einem Text aus dem Mittleren Reich (ca. 2.000 v. Chr.) zum Ausdruck kommen. In der Belehrung des Dua-Cheti, vergleicht ein Vater, der seinen Sohn in die Palastschule schickt, die Vorteile der Schulausbildung mit anderen Berufen. (Vgl. Gabriel Gierlich, S. 63)

„Beginn der Lehre, / die ein Mann aus Sile verfasst hat, / dessen Name Dua-Cheti war, / für seinen Sohn mit Namen Pepi. / Es war, als er stromaufwärts fuhr, / um ihn in die Schreibschule zu bringen, / unter die Kinder der hohen Beamten, / die an der Spitze der Residenz stehen. // Da sagte er zu ihm: / Schau dir doch die Misshandlungen an! / Wenn du dich mit dem Schreiberberuf beschäftigst, / wirst du dich vor körperlicher Arbeit gerettet sehen! / Es gibt nichts, was über den Schreiberberuf ginge, / er ist ein Abbild des Himmels. / Lies am Ende der Kemit [Schulbuch aus dem Alten Ägypten, Anm. A.M.-H.], / du wirst dort folgenden Spruch finden: / Der Schreiber in jedem seiner Ämter in der Residenz, dem geht es darin nie schlecht.“ (Zitiert nach Gabriel Gierlich, S. 63)

Schätzung zufolge konnte im Alten Reich weniger oder höchstens 1 % der Bevölkerung die Lesen und Schreiben. Im Gebiet rund um Theben mit den großen Tempelanlagen in Oberägypten, dürfte der Anteil der Lesekundigen unter den Arbeitern bei den Königsgräbern bei überdurchschnittlichen 5 bis 7% gelegen sein. In der Schule wurde zunächst nur die hieratische Schrift gelehrt, wie sie im Alltag für Urkunden, Briefe und literarische Texte verwendet wurde. Bei der hieratischen Schrift handelt es sich im Gegensatz zu den fest genormten Hieroglyphen um eine meist individuelle Handschrift. Um sie für die Öffentlichkeit leichter lesbar zu machen, wurden diese Texte oft in Hieroglyphen übertragen. Im Mittleren Reich wuchs die Zahl der Beamten, die in Schreiberschulen ausgebildet wurden. Dabei spielte das in der Belehrung des Dua-Cheti erwähnte Unterrichtswerk „Kemit“ eine bedeutende Rolle. (Vgl. Günter Burckhard, S. 23-27)

Das Schuleintrittsalter dürfte wahrscheinlich bei 11 Jahren gelegen sein. In Deir al Medina und im nahegelegenen Tempel für Ramses II. lassen sich für das Neue Reich anhand zahlreicher Papyri und beschrifteter Scherben Schreiberschule nachweisen. Dabei finden sich unter anderem Flektionsübungen wie „Ich (Mann), er, du (Mann), wir, sie, ich (Frau).“ (Vgl. Günter Burckhard, S. 27)

ägyptischer schreiber

Der Beruf des Schreibers hatte einen hohen Stellenwert
und war mit zahlreichen Vorteilen verbunden

Bei den erhaltenen Texten dürfte es sich um Hausübungen handeln, wobei sich aus dem Datumsvermerk der Umfang der Aufgaben erschließen lässt. Die Texte lassen zahlreiche Fehler der Schüler erkennen, die mitunter auch in den Lehrer-Exemplaren zu finden sind. Schulbücher, wie das Buch Kemit aus der Mittleren Zeit, waren meist Beispiele für praktische Anwendungen. Gelehrt wurde nicht eine Theorie, wie ein Brief an den Pharao, an Untergeben oder beispielweise ein Hymnus geschrieben wird, sondern die Texte selbst galten als Muster, die übernommen werden sollten. Das Kemit kann somit als „Schultext für Anfänger“ bezeichnet werden, in dem Wörter, Sätze, Formeln zur Einleitung eines Briefes, Anreden für Höhergestellte u.a. gesammelt wurden, die aber auch vermittelten wie kurze Erzählungen formuliert werden sollten. (Vgl. Günter Burckhard, S. 29-31)

Ein Text eines Lehrers an seinen Schüler gibt einen Einblick in den recht harten schulischen Alltag:

„Als ich in deinem Alter war, verbrachte ich mein Leben in Gefangenschaft (Damit ist die Schule gemeint!). Sie haben mir die Glieder geschlagen. Sie verbrachten drei Monate mit mir. Ich war eingesperrt im Tempel, während mein Vater und meine Mutter auf dem Feld waren, und auch meine Geschwister. Sie entließen mich erst, als meine Hand geschickt war (zum Schreiben) und ich der Beste meiner Gefährten war.“ (Zitiert nach Günter Burckhard, S. 32)

Beschreibstoffe waren neben Stein für monumentale Inschriften vor allem Papyrus aber auch Leder, Keramikscheren, Holztafeln und manchmal auch Ton. Geschrieben wurde von links nach rechts, wobei die Papyrusrolle mit der rechten Hand auf und der linken abgerollt wurde. Dichtung und Literatur vermittelten vor allem politisch-religiöse Inhalte und ihre Leser waren wieder die ausgebildeten Schreiber, die auch für die Aufbewahrung und Archivierung der Texte verantwortlich waren. (Vgl. Benjamin Hartmann, S. 706)

Verwendete Literatur:

 

Weiterführende Link:
Typolexikon: Schriftgeschichte
 

Titelbild: Wikipedia, Totenbuches des Schreibers Nebqed

Andreas Markt-Huter, 03-06-2024

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