Ilse Krüger, Faltenkatzen
In der Nacht sind alle Katzen grau, und auch ihre Falten sieht man nicht. Ilse Krüger ist eine Meisterin der Ironie, wenn sie plumpe Sprichwörter, verrutschte Selfies, und falsche Binsenweisheiten durch die Lebensrealität zurechtrückt. Ihre Heldinnen kämpfen mit Vorurteilen und falschen Prophezeiungen, die über sie im Umlauf sind. Oft sind natürlich die Männer der Grund für den Dissens zwischen Anspruch und Wirklichkeit. Aber bei genauerem Hinhören stellt sich bei Männern und Frauen eine ähnliche Unwucht heraus, die ihre Bilder zum Trudeln bringen.
Die 18 Geschichten über „nicht mehr ganz junge Frauen“ sind vor knapp dreißig Jahren im Wiener Frauenverlag erschienen. Damals schon programmatisch der Aufklärung und dem Feminismus verpflichtet erweisen sich die Geschichten heute als frischer denn je. Jetzt zeigen sie nämlich die Protagonistinnen in ihrem „milden Kern“ voller Ironie. Autorin, Heldinnen und Publikum sind mittlerweile gereift und beurteilen die einzelnen Sequenzen mit jenem flinken Gestus, mit dem man die Seiten eines Fotoalbums einer vergangenen Epoche umschlägt.
Die dargestellten Schicksale lassen sich aus dem Blickwinkel der Gegenwart sauber unterteilen in tagespolitische Phänomene und in einen kulturellen Trend, der über die Sachverhalte gelegt ist. Oft spielen sich die Geschichten „wie immer“ ab, aber das Vokabular hat sich verändert. Bemerkenswert ist dabei die Milde, die aus heutiger Sicht auf beide Geschlechter gelegt ist, vielleicht auch, weil man heutzutage bei der Analyse des Zusammenlebens auf mehr als nur auf zwei Geschlechter Rücksicht nehmen muss.
In Zeiten der „Faltenkatzen“ haben die Heldinnen das Ruder fest in der Hand, zumindest in den Geschichten. Die Männer sind Randerscheinungen, wenn sie in der Aufmerksamkeit klein gehalten werden, lässt es sich besser einschätzen, welche Probleme von den „nicht mehr ganz junger Frauen“ hausgemacht sind.
Die wahre Machtverteilung zwischen Mann und Frau zeigt sich im letzten Lebensabschnitt des mehr oder weniger freiwilligen Zusammenlebens. So benimmt sich ein „Herr des Hauses“ zum Frühstück äußerst widerlich und kotzt seine Stimmung regelmäßig als „Großwetterlage“ (23) aus. Seine Frau lässt ihn ausbellen, während er allmählich in Gebrechlichkeit verfällt. Das Frühstück ist aufgetischt als Ritual einer vergangenen Zeit, als die beiden noch bemerkten, was auf dem Tisch steht. Jetzt gilt es, den Alten als Stillleben ruhig zu stellen. Die Frau droht mit einem Spaziergang nach Schönbrunn, weil das der Großwetterlage entspricht. Der Mann verfällt abermals, es reicht höchstens für eine Runde ums Haus. Dann ist er müde bis zum nächsten Tag, und die Frau kann ihr eigenes Leben führen.
In der Erzählung „Aufbäumen“ (47) soll Hermine nach einem heftigen Klinikaufenthalt entlassen werden. Sie aber bäumt sich auf, denn es steht ihr zu Hause ein Weiterleben mit ihrem gebrechlichen Mann bevor. Sie will unbedingt ins Heim! Aber das ist im Budget nicht drin. Die Kinder bringen sie wieder nach Hause und werden ab und zu vorbeischauen. Hermine steht fassungslos ihrem alten Ehemann gegenüber, der von all dem nichts mitbekommt.
Aber das Alter kann auch ohne erzwungene Zweisamkeit zur Verstörung führen. Die eine Heldin begutachtet täglich ihren Vorrat an Einweckgläsern und ist erfreut, wenn etwas schimmlig ist und weggeworfen werden kann. Eine andere flitzt durch den Garten und baut den angrenzenden Wald um. Einzelne Bäume müssen Klima-gerecht ausgebaut werden, ein Unterfangen, das an griechische Mythologie erinnert, wo in jedem Baum ein Gott aus früheren Zeiten steckt.
Das „verlogene“ Alter zieht sich als düsterer Faden durch die erzählte Melange. Entweder die anderen kapieren es nicht, wie es den Protagonistinnen beim Verrotten ergeht, oder sie übertünchen es mit falschen Ritualen, wenn sie etwa der Mutter zum Sechzigsten einen Ring schenken, den sie sich vor Jahrzehnten gewünscht hat. Jetzt steht sie da mit einem Ring, der vom Finger fällt, jetzt ist sie alt genug, dass man ihr danke sagt fürs Lebenswerk. Die Kinder, der Mann, alle haben zusammengelegt für diesen mickrigen Ring.
Den Geschichten vom „erledigten Leben“ stehen die Aufmuck-Storys gegenüber, in denen die Heldinnen noch einmal Widerstand leisten gegen das Unausweichliche. Zumindest wollen sie die Veränderungen als freiwillig empfinden, auch wenn die Zukunft unbeeindruckt von der Stimmung über die Kämpferinnen hereinbricht.
Vera wird an der Gebärmutter operiert, sie fühlt sich als Sackträgerin, der die Last des gebärenden Sackes endlich abgenommen wird. Sie wird sich eine kleine Auszeit nehmen und vielleicht bräunen und sagen, dass sie Wellness gemacht habe. Dann kann ihr Freund schauen, wie er zu seinem Kind kommt, das er an manchen Tagen mit ihr zeugen will, an anderen Tagen wiederum nicht. Nach der OP ist wenigstens Tabula rasa.
An anderer Stelle sind Beamte und Beamtin in Rente gegangen und haben sich ein schön strukturiertes Leben vorgestellt. Aber der Mann ist ein Versager für alle Pläne, schon nach ein paar Tagen weiß die Frau: Es wird Kampf geben!
Was redet man eigentlich zusammen, wenn man zusammen alt werden muss. Wieder einmal steht ein Paar vor der Leere des Lebensabends. Da kommt sein Gespräch glücklicherweise auf die Nachbarsfamilie zu liegen, die Fialas haben einen Sohn, der ihnen keine Freude macht, weil er kriminell geworden ist. Und das Paar hat endlich ein Schicksal (69), das es bereden kann, um über den nächsten Tag zu kommen.
Das Schwindeln mit dem Alter, das Vertuschen der Macken, das letzte Aufkeimen erotischer Säfte schimmern durch, wenn sich die „Faltenkatzen“ räkeln und putzen.
Bei einer Seniorenwanderung wird jeder Schritt begutachtet, wie gut die eine oder andre noch beisammen ist. An anderer Stelle wirft sich die Spät-Erotische in Schale und Parfum mit dem Ergebnis, dass ihr im Park ein kleiner Junge zuläuft und sie beschnüffelt, weil sie wie seine Mutter riecht. Der Aufriss im Park geht ins Leere und gleicht jener Frau auf Dienstreise, die leer im Hotel liegt und wartet, dass sie von ihrem Lover angerufen werde.
Dagegen ist eine Home-Invasion von unerwarteter Klarheit. Zu Zeiten ohne Handy hat ein Paar eine Autopanne und läutet im nächstbesten Häuschen ein ältliches Paar heraus, um die Abschleppung zu organisieren. Bei dieser Gelegenheit begutachten die Fremden sowohl Häuschen als auch Paar und sagen unverblümt, dass beides Scheiße ist. – Jetzt ist die Idylle kaputt, und somit das ganze Leben, weil dieses als Idylle konzipiert ist.
Man hört Ilse Krüger schmunzeln, wenn sie ihre Figuren quasi unverändert aus dem Leben abtextet und in die Kiste mit den Faltenkatzen steckt. – Wunderbarer Frohsinn tritt ein.
Ilse Krüger, Faltenkatzen. Geschichten über nicht mehr ganz junge Frauen [E.A. Wiener Frauenverlag, Wien 1995]
Klagenfurt: Sisyphus Verlag 2024, 109 Seiten, 12,80 €, ISBN 978-3-903125-85-8
Weiterführende Links:
Sisyphus Verlag: Ilse Krüger, Faltenkatzen
aga.at: Ilse Krüger-Sklenicka
Helmuth Schönauer, 26-04-2024