Axel Karner, popanz
Gedichtbände springen einen oft aus dem vollen Regal heraus an, wenn sie von der semantischen Schnellkraft eines einzigen Wortes getrieben jäh ihre Dynamik entfalten.
Axel Karner hält seinen Gedichtband unter dem Begriff „popanz“ vorerst in Zaum, ehe er dem Streusel-Spiel Mikado ähnlich seine Gedichte unvermittelt auswirft. Unter Popanz ist im sprachlichen Umgangsgebrauch ein aufgeblasener Typ gemeint, ein Schreckgespenst, die Kunst der Überschätzung oder die aufgeplusterte Meinung schlechthin. Der Popanz kann überall und jederzeit auftreten, im Alltag vor allem als Buhmann, Fake oder Drohkulisse.
In den knapp fünfzig Gedichten tritt der Popanz unter anderem als künstlerische Figur, ausgestorbener Beruf oder abschätzige Wertung von unguten Mitmenschen auf.
Axel Karner platziert seine Popanz-Porträts wie in einem programmatischen Schuber zwischen zwei Leitsätze: „Ich kannte deren Schlag schon mein ganzes Leben – durchtrieben bis auf die Knochen. – James Lee Burke.“ (5) / „Es gibt keine Antwort. Es wird keine Antwort geben. Es hat nie eine Antwort gegeben. Das ist die Antwort. – Gertrude Stein.“ (53)
In zaghafter Kursivschrift filtern Bemerkungen zum Bienentöter und zum Verweigerer diese Leitsätze ab und machen den Weg frei für die „popanz“-Gedichte, die alphabetisch das Feld von Raritäten, Entgleisungen und Selbsttäuschungen behandeln.
Einen starken Eindruck hinterlassen die Doppelseiten vor allem durch ihre beinahe dichotome Inszenierung, wenn etwa Bettler und Bürgermeister (11), Engelmacher und Fahnenträger (17) oder Kapitalist und Köchin (27) einander gegenübergestellt sind.
Das erste Gedicht vom „Arschloch“ besingt einen häufig auftretenden Typus, der sowohl in der Selbstbezichtigung als auch in Form der Denunziation häufig im Alltag vertreten ist.
Der „Henker“ hingegen tritt vor allem als literarische Figur auf, die jederzeit aus einem Text springen kann, um die Leserschaft zu erschrecken. „es blüht ein mensch / kreischt dacht die meute wild // der kirschbaum / trägt beschwingten kropf // soll schweigen / eigen ist des sterbers hirn“ (23)
An diesem Henker-Gedicht lassen sich die spezifischen Merkmale der Lyrik des Axel Karner ablesen. Der Text wirkt an der Oberfläche wie ein Porträt, das aus Elementen der Rechtsprechung, der Irritation und der Illusion zusammengetragen ist. Die einzelnen Verszeilen scheinen nicht unbedingt logisch miteinander verknüpft zu sein, sie stehen untereinander in Verbindung, wie wenn ein loses Abtasten mit der Fingerkuppe einzelne Wortteile einer alten Chronik miteinander ins Gespräch bringt. Der Text könnte auch das Ergebnis eines Scannvorgangs eines Bildes sein, worauf sich einzelne Partikel für sich genommen zwar dechiffrieren lassen, aber in der zusammengefügten Einzelwahrnehmung schließlich ein vollkommen neues Bild ergeben. – Das Gedicht scheint ein Texteindruck aus mehreren Quellen zu sein, die aus diversen Jahrhunderten stammen und auf viele Regale verteilt sind.
In einer „Gebrauchsanweisung“ zum popanz ist in einer Notiz des Verlags von einem Alphabet der Niedertracht die Rede, worin sich meist Männer aufplustern, um ein von Selbstmitleid aufgepumptes Ego aufrechtzuerhalten.
In diesem Lichte lassen sich Kriegsgewinnler, Lügner und Leugner, Nussklauber oder Onanierer vortrefflich lesen. Die lyrische Heldenpose löst sich zwischen den aufgeweichten Zeilen des Selbstmitleids in Groteske auf.
Der sogenannte „Zivilfahnder“ am Ende des Alphabets zeigt dann auch voller Ironie, wie gutgemeinte Selbstdarstellungen sich schwer im Darm zurückhalten lassen und als „Einlauf am Häusl im Wald“ sich selbst entleeren. Am Ende seiner Fahndung angekommen, endet der Fahnder als Ausscheidung, während er unter dem Deckmantel eines Offizialdelikts Streit zu schlichten vorgibt.
In der Liste der Popanze tauchen Berufe auf, die man auf Anhieb erwartet, weil das Image eines Schreckgespenstes quasi zum Berufsbild gehört. Manche Typen sind aus der Zeit gefallen und erschrecken quasi vor sich selbst, wenn sie in der Gegenwart zum Leben erweckt sind. Manchen gelingt in der Selbstreflexion eine gewisse Ironie, um dem „eigenen Schmalz des Daseins zu entrinnen“, wie es Thomas Bernhard einmal genannt hat.
Selbstverständlich stehen bei einem Gedichtzyklus über Popanz auch die Dichter selbst unter lyrischer Beobachtung. Sie sind an an manchen Tagen die idealtypischen „Allmachtsfantatsten“, die sich mit groteskem Treiben in den Lauf der Dinge einzumischen trachten.
dichter // jagt / mein stock des blinden / sieben heilige zahlen (14)
Axel Karner wählt einen geheimnisvollen Ton für seine Gedichte, worin Besinnung, Meditation, Magie und subtile Moral nachklingen, wenn man ihnen Zeit zur Entfaltung gibt.
Axel Karner, popanz
Klagenfurt: Wieser Verlag 2024, 54 Seiten, 18,90 €, ISBN 978-3-99029-642-4
Weiterführende Links:
Wieser Verlag: Axel Karner, popanz
Wikipedia: Axel Karner
Helmuth Schönauer, 28-05-2024