William Trevor, Mogeln beim Canasta

Buch-Cover

So wie es in der Literatur eine Liste mit den größten Plots gibt, gibt es auch ein Ranking der unauffälligsten Begebenheiten im Aktionismus von Helden.

William Trevor gilt als der Meister der stillen Verfestigung von Erzähllava. ?Mogeln beim Canasta ist wahrscheinlich etwas vom Unaufgeregtesten, was man sich bei vollem Bewusstsein ausdenken kann. Nicht nur dass das Kartenspiel in sich schon die komplette Unruhe in ein beschauliches Leben bringt, dabei noch zu mogeln ist tatsächlich Kreislauf schädigend.

In dieser Titelgeschichte geht es freilich um die Bilanz des Lebens. Der Ehemann sucht noch einmal alleine jene Stätten in Venedig auf, die er jahrelang mit seiner Frau besucht hat. Alleine wird er nicht einmal mehr wiedererkannt, ganz Venedig ist wertlos. Seine Frau allerdings kann nicht mehr mitkommen, weil sie ein Pflegefall mit Demenz geworden ist. Manchmal reicht es gerade noch zum Canasta, bis die Karten aus der Hand fallen. Wahrscheinlich ist das ganze Leben zusammengemogelt, weshalb jetzt nicht einmal mehr das Canasta gelingt. Ähnlich lebensverworfen geht es unter der oft romantischer Hülle in den anderen Erzählungen zu.

Ein Mechaniker in einem entlegenen Irischen Ort bringt Gäste zur weinenden Madonna. Auf der Rückfahrt rennt ihm ein Kind ins Auto, oder doch nicht. Das Kind nämlich ist bekannt für seine unkalkulierbaren Ausreißer, da fällt eine Fahrerflucht vielleicht gar nicht auf.

In einem Zimmer wickelt ein alt gedientes Paar seine Affären ab, aber dann fliegt die Sache auf, weil in einer anderen Angelegenheit die Polizei alle nach einem Alibi fragt. "Das Beste, was Liebe vermochte, war nicht ausreichend" (48), werden Abschweifungen begründet.

Nach einem Vierteljahrhundert kehrt ein Auswanderer wieder nach Irland zurück und erpresst den Pfarrer mit sexuellen Altlasten. Das Land ist auch nach so langer Zeit immer noch hoffnungslos in die Bigotterie verstrickt, dabei haben die Europäer vom Festland überall moderne Straßen hin gebaut.

Dieser Modernisierungsschub macht auch dem alten Gut Olivehill zu schaffen, als es eines Vormittags ratzeputz in einen Golfplatz umplaniert wird. Die Seelen der Bewohner verhalten sich gesittet ruhig, wie man es auf einem Golfplatz zu tun pflegt.

William Trevor erzählt von den leisen Dingen, von Geräuschen, die entstehen, wenn Wunden nicht heilen wollen. Unter der Grasnarbe des irischen Idylls schwären alte Konflikte, politisch ist noch nicht alles verziehen, europäisch ist noch nichts angekommen, im privaten Verkehr wuchern immer wieder die religiösen Untugenden einer kaputten Kindheit durch die Figuren.

Wahrscheinlich ist alles, was wir an Canasta-Karten in den Händen halten, eine große Mogelei. Wahrscheinlich ist die Ruhe unter der Grasnarbe genau so gespielt wie jene zu Lebzeiten. William Trevors Erzählungen sind leise und beunruhigend.

William Trevor, Mogeln beim Canasta. Erzählungen. A. d. Engl. von Christian Oeser, [Orig.: Cheating at Canasta, London 2007.]
Hamburg: Hoffmann und Campe 2011. 238 Seiten. EUR 20,-. ISBN 978-3-455-40283-4.

 

Helmuth Schönauer, 02-01-2012

Bibliographie

AutorIn

William Trevor

Buchtitel

Mogeln beim Canasta

Originaltitel

Cheating at Canasta

Erscheinungsort

Hamburg

Erscheinungsjahr

2011

Verlag

Hoffmann & Campe

Übersetzung

Christian Oeser

Seitenzahl

238

Preis in EUR

20,00

ISBN

978-3-455-40283-4

Kurzbiographie AutorIn

William Trevor, geb. 1928 in Mitchelstown / Irland, lebt in Devon / England.

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