Ludwig Thalheimer, Undercover

Buch-CoverAus dem Agentenmilieu kennen wir das Undercover-Syndrom, es geht um verdeckte Ermittlungen, verdeckte Recherchen, verdeckte Fahndungen. Ludwig Thalheimer fotografiert in Undercovermanier.

Auf dem ersten Bild sieht man jeweils "bloß" die Augen und schaut ins intime Innere eines nicht vorhandenen Menschen. Blättert man dann um, sieht man den Menschen, dem man bereits in die Augen geblickt hat. Aber jetzt sind die Augen abgedeckt wie auf einem Pressefoto, worin man eine Person inkognito machen will.

Allmählich beschleicht einen ein fast ungutes Gefühl, wenn man jemandem hemmungslos in die Augen blickt. Jetzt bekommt der eigene Blick etwas von einer Peepshow, eine entkoppelte Erotik zwischen Ungeniertheit und Scham tritt ein, während am Bild Tränensäcke flimmern, Augenränder ausfransen oder Krähenfüße eine Runde drehen.

Die Porträts zeigen volle Inszenierung. Die Menschen sind offensichtlich gefragt worden, ob sie posieren wollen und zeigen erst einmal dieses Posieren und dabei sich selbst.

So lümmelt "Elias" mit tief gezogenem Schnauzer auf seinem Notbett, am Nachtkästchen hat er das Bild einer Frau aufgestellt, ein Kuschelbär hat sich unter die Nachttischlampe verkrochen und die Marlboro sind rauchgeil an der Kante postiert.

"Euro" sitzt als Krawattenträger auf einer Metallbank im Park und seine Hand zeigt ins Leere und beschreibt den Platz, wo ruhig noch jemand sitzen könnte.

"Helga" liegt mit Schuhen im Doppelbett, allerlei Kleinvieh ist als flüchtiger Raumschmuck auf dem Regal über das Bett gespannt, sie erwartet fürs erste einmal eine gelungene Aufnahme oder etwas Pflege, ihre Hände sind bereit, Liebkosungen zu empfangen.

"Marta" hingegen hat das Bein angezogen, sie sitzt voll bekleidet im Bett unter zwei Notbildern, die rasch an die Wand genagelt worden sind. Ihre Schlapfen müssen in großer Geschwindigkeit abgestreift worden sein, sie zeigen mit den Spitzen in Richtung Bett, zwei Kuscheltiere mauscheln etwas am Not-Kästchen, das wie ein Altar für schnelle Gebete aufgestellt worden ist.

Die Schwarzweiß-Bilder erzählen und erzählen und werden erst durch jähes Umblättern stumm, wenn man in das nächste Augenpaar blickt. Ludwig Thalheimers Fotographien sind beeindruckende Dokumente ungenierten Schauens. Nach dem Fotoband geht man als Leser hinaus ins Freie und schaut die Leute frech und undercover an.

Ludwig Thalheimer: Undercover. Mit einem Text von Alberto Vignolo.
Wien, Bozen: Folio 2005. 160 Seiten. EUR 29,80. ISBN 3-85256-297-X.

 

Helmuth Schönauer, 05-10-2005

Bibliographie

AutorIn

Ludwig Thalheimer

Buchtitel

Undercover

Erscheinungsort

Bozen

Erscheinungsjahr

2005

Verlag

Folio

Seitenzahl

160

Preis in EUR

EUR 29,80

ISBN

3-85256-297-X

Kurzbiographie AutorIn

Ludwig Thalheimer, geb. 1961 in Bozen, leitet das Büro „Lupe“ in Bozen.

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