William Trevor, Seitensprung

Buch-CoverUnter dem moralisch knalligen Titel „Seitensprung“ stellt sich jeder sofort etwas individuell Aufregendes vor. Bei William Trevor jedenfalls sind unter diesem Titel zwölf abgeklärte Geschichten zusammengefasst, und die Erotik ragt dabei wie ein Büschel Strohblumen der Zuneigung aus einer Vase aus vergangener Zeit.

Schon die erste Erzählung bringt diese seltsame Zuneigung über die Jahre auf einen fulminanten Punkt. Gerade, als die zwei Schwestern die Nachbarschaftshilfe antreten, um vielleicht ihrer Nachbarin zu helfen, ist deren Mann gestorben. Die allgemeine Plauderei geht also sofort in ein begleitendes Hinterbliebenengespräch über, was darf man ansprechen, was bleibt tabu, und ist nicht zwischendurch alles tabu? Hilfreich ist für die Witwe, dass der Mann auf jeden Fall gestorben wäre, nicht nur weil er mit einem dünnen Hemd bekleidet ins Freie gegangen ist.

In einer Geschichte voller Zeitstillstand und Traditionspflege sieht der Schuldirektor ein zeitloses Serviermädchen durch das Internat laufen. In der Figur der mittlerweile reifen Frau steckt noch das lüsterne Mädchen, wie vielleicht auch er einmal einen Hauch von Lüsternheit in sich versteckt hat.

An der Theater-Bar hat reiferes Pärchen das erste Date ausgemacht. Jetzt pfeifen beide auf den Theaterrummel und gehen sachlich die Fragen durch, die sie für die Kontaktagentur ausgefüllt haben. Er hätte gerne eine Frau mit Auto, aber stattdessen überfallen ihn Zahnschmerzen und nirgendwo ist ein Aspirin in Sicht. Es wird nichts mit der großen Begegnung, es scheint ein Seitensprung ins Leere zu werden. Denn auch sein Beruf ist nicht gerade romantisch und attraktiv. Statt der im Katalog angegebenen großen Landschaften und Städte fotografiert er in Wirklichkeit nur Suppen und Salate, es ist zwar Kunst, aber er ist kein Künstler.

Ein Pfarrer hat den obligaten erotischen Huscher und sieht im Altarschmuck plötzlich persönliche Zeichen einer verbotenen Zuneigung.

Der Bibliothekar schließlich tritt vielleicht eine Erbschaft aus verflossenen Zeiten an, vor langer Zeit gab es da einmal was, jetzt gibt es die Andeutung eine Hinterlassenschaft, aber eigentlich will er nur ein ganz kleines Stück Erinnerung, weil Bibliothekare nichts anderes brauchen als Erinnerung.

In der Titel spendenden Schlussgeschichte „Seitensprung“ zerstört die Scheidung der Frau eine subtile Affäre zwischen zwei gesetzten Seitenspringern.

In William Trevors aufregend unspektakulären Geschichten geht es um gesetzte, umständliche Typen, denen Sex wohl aus keinem Körperteil auskommt. Schon die beteiligten Berufsgruppen garantieren einen skurrilen Ablauf der Erotik. Irgendwie sind diese von papierener Lebensehrfurcht gebeutelten Menschen alles erotische Selbstbefriediger mit großer Zielgenauigkeit.

William Trevor, Seitensprung. Erzählungen. A. d. Engl. Von Brigitte Jakobeit. [Orig.: A Bit on the Side; London 2004]
Hamburg: Hoffmann und Campe 2005. 237 Seiten. EUR 22,70. ISBN 978-3-455-07779-7

 

Weiterführende Links:
Hoffmann und Campe: William Trevor: Seitensprung
Wikipedia (engl.): William Trevor

 

Helmuth Schönauer, 30-10-2006

Bibliographie

AutorIn

William Trevor

Buchtitel

Seitensprung

Originaltitel

A Bit on the Side

Erscheinungsort

Hamburg

Erscheinungsjahr

2005

Verlag

Hoffmann und Campe

Übersetzung

Brigitte Jakobeit

Seitenzahl

237

Preis in EUR

22,70

ISBN

978-3-455-07779-7

Kurzbiographie AutorIn

William Trevor, geb. 1928, verbrachte die Kindheit im ländlichen Irland, lebt in Devon, England.