Walter Kempowski, Alles umsonst

Buch-CoverEfeu, Georgenhof, drei Kühe, drei Schweine, Blaubeeren, ein nachdenklicher Pole und zwei muntere Ukrainerinnen – wir befinden uns punktgenau 1945 unweit von Mitkau, einer kleinen Stadt in Ostpreußen.

Zugegeben, so setzen romantisch große Romane ein, mit jeder Fügung ist klar, dass es sich hier um den großen Erzählgestus von würdiger Erinnerungsliteratur handelt, zwischen den Zeilen schaut uns der Text mit großen Germanistenaugen an und nickt uns zu: Du bist ein guter Leser, wenn du diesen Roman liest!

Der Roman hat einen netten Zug zur Romantik, manchmal weht ein Hauch von Revisionismus durch die Kapitel, so haben in den letzten sechzig Jahren die typischen Ostpreußler gejammert und geflennt.

Im Mittelpunkt steht das Gut, das dem Untergang geweiht ist, die wenigen Personen sind eingeteilt in die unsrigen mit Eigennamen und Schicksal und die anderen, das sind meist anonyme Nationalitätenträgerinnen. Die Gutsfrau widmet sich den edlen Künsten, dilettiert ein wenig in deutscher Universalkunst, ihr Sohn  Peter wird gegen ein Wurstbrot von einem disparaten Lehrer erzogen, und das so genannte Tantchen führt das Regiment. Die Front rückt immer näher, dieses Mal ist es die böse Front, weil sie ja aus dem Osten kommt. Langsam setzt der Flüchtlingsstrom ein, und es heißt verdrängen und durchtauchen.

Aber, wie schon der Titel des Romans sagt, es ist alles umsonst. Die Gutsfrau lässt sich vom Kaplan dazu überreden, für eine Nacht einen Flüchtling unterzubringen, dieser ist Jude, jetzt ist die Durchtauchstrategie endgültig obsolet. Katharina von Globig, so die hohe Anrede der Gutsfrau, wird verhaftet und verschwindet wie alle in den Kriegswirren. Nur ihr Sohn Peter entkommt dem Desaster, wohl um wie in der Literatur üblich zu berichten, was in seinen Augen geschehen ist.

Der Roman „Alles umsonst“ ist ein melancholischer Abgesang auf die Zeitgeschichte, kluge Teilnehmer jeglicher Geschichte wissen, dass immer alles umsonst ist. Das Thema ist an der Kippe, wo es in die Romantik überfließt, zwischen Adalbert Stifters „Witiko“ und Walter Kempowskis „Alles umsonst“ liegen höchstens ein paar Jahrhunderte, aber beide Romane sind von der Gegenwart aus gleich weit entfernt.

Wir Leser von 2007 können bei diesem Abgesang auf den deutschen Osten beobachten, wie aus Zeitgeschichte Geschichte wird. Aus den erzählten Vorgängen wird langsam ein Mythos. Als reine Faktenstory ist der Roman mäßig interessant, manchmal ertappt man sich bei dem Gedanken, was wohl die deutsche Literatur erzählen würde, hätte nicht Hitler für so viel Stoff gesorgt.

Walter Kempowski, Alles umsonst. Roman.
München: Knaus 2006. 380 Seiten. EUR 21,90. ISBN 978-3-8135-0264-0

 

Weiterführende Links:
Knaus-Verlag: Walter Kempowski, Alles umsonst
Wikipedia: Walter Kempowski



Helmuth Schönauer, 15-12-2006

Bibliographie

AutorIn

Walter Kempowski

Buchtitel

Alles umsonst

Erscheinungsort

München

Erscheinungsjahr

2006

Verlag

Knaus

Seitenzahl

380

Preis in EUR

21,90

ISBN

978-3-8135-0264-0

Kurzbiographie AutorIn

Walter Kempowski, geb. 1929 in Rostock starb 2007 in Rotenburg an der Wümme.

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