Günter Vallaster (Hrsg.), Grenzüberschneidungen

Buch-CoverOft sind es persönliche Bekanntschaften, die einen literarischen Transfer zwischen zwei Kulturgegenden auslösen, in der Literatur kann manchmal eben doch eine einzelne Anstrengung allerhand bewirken.

So eine einzelne Anstrengung hat jetzt auch Günter Vallaster mit seinen Grenzüberschneidungen hingelegt, dabei werden die beiden Zentren der europäischen visuellen Poesie, nämlich St. Petersburg und Österreich, in einem Sammelband kurzfristig verbunden.

Man mag viel rätseln, warum gerade in diesen beiden Land- und Stadtstrichen die visuelle Poesie so gedeiht, ein Grund könnte sein, dass das Subversive sich durch nichts besser darstellen lässt als durch visuelle Poesie. Und die zaristischen und habsburgischen Nachfahren lösen eben starke visuelle Poesie aus!

Im Schau-Band sind knapp dreißig Protagonistinnen und Protagonisten der visuellen Poesie aufgefädelt, die russischen Bildinschriften sind sauber übersetzt, damit auch die Ironie, die zwischen Text und Bildarrangement liegt, vollends zur Geltung kommt.

Aus österreichischer Sicht sind die Highlights sicher das Gotteslob von Christian Futscher, dabei wird die klerikale Hymne ‚Großer Gott wir loben dich’ verkürzt zu einer eiernden Endlosschleife ‚und du und du und du’; Christian Steinbachers Kreuzwortfuzzel-Gedichte, dabei werden die Anleitungen für die Suchbegriffe ausgeschnitten und als große Ode aufgeklebt, und Ilse Kilic, die im Sinne eines Lesebuchs Wortsflüsse als echte Flüsse zeichnet.

Daneben sind die Haudegen Günter Vallaster, Fritz Widhalm, Lisa Spalt, Erika Kronabitter oder Gerhard Jaschke mit ihren Ikonen der irritativen Montage vertreten. Gerhard Jaschke etwa schneidet aus fremdsprachigen Zeitungen einfach Begriffe aus, die er dann gar nicht mehr zu übersetzen braucht, so wird aus einer russischen Zeitungsseite plötzlich glasklar eine deutsche Wodkaflasche mit Glas.

Von den russischen Künstlern bleibt als stärkster Eindruck die falsch etikettierte Insignienausstellung von Alexandr Gronen, hier werden patriotischen Gerätschaften wie Hellebarde, Fahne oder Schild mit völlig unpatriotischen Gravuren versehen. Boris Konstruktor schickt zu Buchstaben verkürzte Helden ins Comics-Rennen, Leonore Linza versteckt Texte in großen Arrangements.

Die ganze Sammlung ist freilich Dimitrij Avaliani gewidmet, der es mit seinen eingedrehten und durchgedrehten Texten zu schauriger Untergrundpopularität gebracht hat. An allen Ecken und Enden liegen bei ihm Texte herum, werden ein Stück gedreht und weiter beschriftet und wieder ins Chaos zurückgesteckt. 2003 ist der Autor fünfundsechzigjährig beim Überqueren einer Moskauer Straße „tragisch zu Tode gekommen“. Wie man fröhlich überfahren wird, fragt man als Leser, aber vermutlich sind auch die biographischen Angaben Teil einer visuellen Inszenierung.

Die Grenzüberschneidungen reißen jedenfalls die Augen des Lesers weit auf und hinterlassen Bilder, freche Ansichten und starke Umarmungen, die sich zwischen St. Petersburg und Österreich hin und her drücken.

Günter Vallaster (Hg.): Grenzüberschneidungen. Poesie Visuell Interkulturell. Vorwort von Günter Vallaster und Juliana Kaminskaja. Russische Übersetzungen von Juliana Kaminskaja und Veleri Scherstjanoi.
Wien: edition ch 2006. 164 Seiten. EUR 18,-. ISBN-10: 3-901015-31-0.

 

Helmuth Schönauer, 20-12-2006

Bibliographie

AutorIn

Dimitrij Avaliani / Günter Vallaster / Fritz Widhalm u.a.

Buchtitel

Grenzüberschneidungen. Poesie Visuell Interkulturell

Erscheinungsort

Wien

Erscheinungsjahr

2006

Verlag

edition ch

Herausgeber

Günter Vallaster

Übersetzung

Juliana Kaminskaja und Veleri Scherstjanoi

Seitenzahl

164

Preis in EUR

18,00

ISBN

3-901015-31-0

Kurzbiographie AutorIn

Günter Vallaster, geb. 1968 in Schruns, fünfzehn Jahre Innsbruck, lebt in Wien.