Tim Parks, Stille

Buch-CoverWieder einmal ist das Gebirge jenes Trampolin, in das sich Mittfünfzigjährige voller Erschlaffung fallen lassen in der Hoffnung, dass noch etwas Tolles wird aus dem Leben.

Tim Parks schickt seinen Helden Harold Cleaver ins putzig verrückte Südtirol, um den angeschlagenen Starjournalisten und Versagervater ein wenig für die nächsten Lebensjahre aufzumotzen, Stille ist angesagt.

Cleaver ist natürlich höchst clever, sein Interview mit dem amerikanischen Präsidenten, der leicht vertrottelt nach Präpotenz und Texas schmeckt, ist um die Welt gegangen. Zur gleichen Zeit hat Cleavers Sohn einen Beststeller geschrieben, „Im Schatten des Allmächtigen“. Darin wird mit dem Starjournalisten als Vater abgerechnet, alles ist angeblich Show und kalkulierte Larmoyanz.

Cleaver reist bei Schlechtwetter in die Alpen, irgendwo hat er den berühmten Aussteigerroman „Walden“ im Kopf, als die Bahnstrecke immer windiger wird, ab Bruneck nur noch Einheimische das Sagen haben und schließlich ab Luttach gar ein Pferdetaxi in die hinterste Felsenpampas führt, wo der so genannte Rosenkranzhof steht.

Die Stille macht vom ersten Augenblick an verrückt, Cleaver spricht mit einer Tiroler Trachtenpuppe mit glasigen Augen von Sex und nennt sie Olga. Das Handy verstummt, weil der Akku leer wird, die Einheimischen sitzen vor allem nass mit karierten Hemden und einer sinnlosen Sprache beim Kartenspiel herum.

Als Höhepunkt gibt es ein Begräbnis, bei dem ein alter Nazi feierlich bestattet wird, die Szenerie gleicht eher einem rustikalen Karneval als einer politischen Kundgebung. Zu jeder Gelegenheit wird hochprozentiger „Spirit of the Mountain“ getrunken und manchmal auch Heil Hitler gerufen. (107)

Natürlich reden die Einheimischen in einer seltsamen, aber touristisch hoch entwickelten Kaufmannssprache, „denn die Menschen in Südtirol sind sehr diskret“. (32)

Cleaver geht nun endgültig in die Enklave der Erinnerung, arbeitet sauber den Tod seiner Tochter auf, als er ein Marterle mit einem ähnlichen Todesfall findet, vergleicht die unglücklich verlogenen Familienstrukturen der Einheimischen mit seinen eigenen, und am Schluss taucht dann der böse Schreibersohn auf und alle basteln an einer Notversöhnung.

Tim Parks Aussteigerroman liest sich süffisant, das Heldentum hat etwas von Marlen Haushofers „Wand“ in sich, es gilt, vor allem den Tagesablauf in Stille und Einöde auf die Reihe zu kriegen.

Das Bild der selbstbewussten und geschäftstüchtigen Südtiroler ist durchaus kommod getroffen, ständig wird kassiert, die Mythen werden in Kohle umgerechnet und es gibt nichts, was sich nicht in Euro ausdrücken ließe.

Als Leser kommt man ohne Strapazen bis in die verwinkeltsten Untiefen des Landes, Lesen kann sehr angenehm sein, man muss nicht in den Dreck, und kriegt doch ein bisschen was Dreckiges mit. Ja und die alte Weisheit bestätigt sich wieder, niemand kann aus sich aussteigen. So gesehen ist der Roman „Stille“ eine tolle Begründung, warum Tourismus eigentlich immer Unsinn ist.

Tim Parks, Stille. Roman. A. d. Engl. von Ulrike Becker. [Orig.: Cleaver, London 2006].
München: Verlag Antje Kunstmann 2006. 388 Seiten. EUR 22,50. ISBN 978-3-88897-443-4

 

Weiterführende Links:
Verlag Antje Kunstmann: Tim Parks, Stille
Wikipedia: Tim Parks

 

Helmuth Schönauer, 08-01-2007

Bibliographie

AutorIn

Tim Parks

Buchtitel

Stille

Originaltitel

Cleaver

Erscheinungsort

München

Erscheinungsjahr

2006

Verlag

Verlag Antje Kunstmann

Übersetzung

Ulrike Becker

Seitenzahl

388

Preis in EUR

22,50

ISBN

978-3-88897-443-4

Kurzbiographie AutorIn

Tim Parks, geb. 1954 in Manchester, lebt in Verona.