Ronald Pohl, Die algerische Verblendung

Buch-CoverJeder Roman hat ja einen höheren Sinn, vielleicht ist der Sinn der „algerischen Verblendung folgender: Albert Camus wollte einst mit dem „Fremden“ einen grellen Algerienroman der Kolonialzeit schreiben.

Herausgekommen ist das Schicksal eines mysteriösen, fast mythisch verschlossenen Fremden, der am Höhepunkt des Romans einen Araber erschießt, damit wenigstens etwas geschieht.

Ronald Pohl hat nun Camus ursprüngliche Absicht aufgegriffen und wirklich einen wüsten, wilden, aufständischen Roman geschrieben, bei dem Algerien das Fremde ist und der Held bloß als angeschwemmtes Treibgut darin herumrudert.

Bei Ronald Pohl bringt das Land am Vorabend der Befreiung und des Unabhängigkeitkrieges so um 1960 die eigene Geschichte zur Weißglut, ohne zu wissen, was aus dieser aufgebrachten Lava gegossen werden soll.

In wahnsinniger Erzählglut wabert auch der Roman vor dem Leser dahin, heftig, zäh, gallertig, glühend. Rostige Eisenbahnen ziehen sich durchs Land und verhöhnen ihre Passagiere, die Stationsvorsteher kratzen sich die Genitalien und lassen die Züge erbarmungslos in der Sonne stehen, Tiere koten an allen Ecken und Enden, die Landschaft ist aus Kacke geflochten und wird nur ab und zu von Adobeziegeln umrandet.

Die Menschen laufen zwischen religiösen Rufen und politischen Parolen ins Leere, aggressiver Sarkasmus hat sich breit gemacht und beginnt alles zu vernichten, was irgendwie an Europa oder gar an Frankreich erinnern könnte. Selbst entlegene Schulen werden angezündet, damit was los ist, wenn man schon nichts los wird. Frankreichs Bildungsgut endet als Karikatur, die meisten Franzosen machen sich auf den Weg, das Land zu verlassen.

In diesem Hexenkessel geht der Icherzähler als aufgemotzter Fremder seine Wege, er ist Konsulent für Wohnbau und fährt in der Hauptsache auf dieser verrosteten Infrastruktur das Chaos entlang, die meiste Zeit aber beobachtet er inmitten dieser ungezähmten Masse amorphe Stimmungen und Ereignisse.

Seinem Onkel haben sie offensichtlich etwas in die Gedärme getan, denn er kommt den ganzen Roman hindurch nicht mehr aus der Hocke und defäziert mit den Tieren um die Wette. Der Fremde schlägt als Icherzähler Schneisen durch die Ungeheuerlichkeit der Geschichte, aber wie in einer Teufelslandschaft wird alles von Wanderdünen überlagert, sobald sich ein paar Meter freie Sicht aufgetan haben.

Ronald Pohls Roman ist ein Orgasmus. Punkt. So wild hat schon seit Jahren niemand mehr geschrieben, dabei klar und nie manieriert. Keine Marotte! Kilometerlange Textstränge liegen logisch geordnet vor dem Leserauge. In der Schauspielerei gilt es als das Schwierigste, nüchtern einen Betrunkenen zu spielen. In der Literatur ist es das Schwierigste, Schleim und Fäkalien handfest zu beschreiben, ohne darin zu versinken. Die algerische Verblendung ist ein erotisch abartig schöner Roman, er springt an die Gurgel, und je mehr er dem Leser die Luft abdrückt, umso klarer sieht dieser!

Ronald Pohl, Die algerische Verblendung. Roman.
Graz: Droschl 2007. 240 Seiten. EUR 21,-. ISBN 978-3-85420-715-3

 

Weiterführender Link:
Literaturverlag Dröschl: Ronald Pohl, Die algerische Verblendung

 

Helmuth Schönauer, 22-02-2007

Bibliographie

AutorIn

Ronald Pohl

Buchtitel

Die algerische Verblendung

Erscheinungsort

Graz

Erscheinungsjahr

2007

Verlag

Droschl

Seitenzahl

240

Preis in EUR

21,00

ISBN

978-3-85420-715-3

Kurzbiographie AutorIn

Ronald Pohl, geb. 1965 in Wien, lebt in Wien.

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