Barbara Vine ( = Ruth Rendell), Aus der Welt

Buch-CoverVielleicht besteht der Ur-Krimi darin, dass jemand den Ort oder die Zeit wechselt. Barbara Vines Krimi „Aus der Welt“ handelt von einem Orts-, Kultur- und Zeitwechsel der romantischen Art.

Irgendwie denken wir bei englischen Romanen ja alle an diese Gothics, die verschroben schrill auf alten Gütern spielen und die Figuren wohl gedrechselt und stofflich drapiert wie in einem Puppenspiel vor uns auftreten lassen. „Kleidsam erröten“ ist vielleicht eine Fügung, die voller Ironie auf jene Welt hinweist, die wir uns in erster Linie erlesen haben, die aber doch in Löchern der Fiktion die Realität durchschimmern lässt.

Der Plot ist genial einfach. Eine schwedische Karikaturistin und Krankenschwester will dem Geliebten in London zumindest geographisch nahe sein und nimmt eine Stelle in einem verrückten Haus an. Die Verrücktheit besteht darin, dass alle schrecklich konventionell sind. Und gleich beim Dienstantritt der in „schwedische“ Gardinen gesteckten Erzählerin fällt der bemerkenswerte Satz: „Der Irrsinn liegt in der Familie.“ Das ist einmal seufzend für die konkrete Familie gemeint, hat aber auch den Anspruch auf eine beinahe imperativ formulierte philosophische Grundformel.

Barbara Vine schickt ihre Konstellation ein paar Jahrzehnte zurück, „damals“ heißt das schlicht und imaginös, und aus „heute“ wird erzählt. So kommt mitten in einer Erzählidylle locker die Gegenwart durch, etwa wenn es heißt, damals sagten wir noch Westindien glaube ich, oder auch der begriff „gay“ für schwul war noch nicht gebräuchlich.

Diese raffinierte Ehrlichkeit, nie die Realität zu verschweigen, macht diesen Roman zu einem Vergnügen. Selbstverständlich wird auf den Leserwartungen aufgebaut, aber die Illusionsbilder werden nie zerstört. Im Gegenteil, immer wieder wird man indirekt als Leser gelobt, dass man Klischees im Kopf hat, worauf jetzt diese Geschichte fußt.

Und was ist jetzt diese Geschichte? Von außen her knackt eine kliescheehaft freie Schwedin das klischeehaft verbohrte England im erzählerischen Handstreich. Das verführerisch verschlossene Castle wird Raum für Raum und Step by Step geknackt. Dass die Bibliothek als der verschlossenste Ort des Hauses gilt, verheißt größte Knackwut.

Und was ist das Krimi-hafte an dieser Geschichte? – Die englische Kulturgeschichte hat den Edelkrimi hervorgebracht, als feine Art der Gesellschaftskritik, und hier wird diese Kunst auf höchstem Niveau wieder einmal aktualisiert vorgeführt. Der deutsche Titel gibt ja eine schöne Deutung: In Krimis versuchen irgendwelche Personen immer, etwas „aus der Welt“ zu schaffen und geraten so erst recht ins Rampenlicht des Interesses.

Barbara Vine ( = Ruth Rendell), Aus der Welt. Roman. A. d. Engl. von Renate Orth-Guttmann. [Orig.: The Minotaur; London 2005]
Zürich: Diogenes 2007. 457 Seiten. EUR 22,90. ISBN 978-3-257-06550-3.

 

Weiterführende Links:
Diogenes-Verlag: Barbara Vine, Aus der Welt
Krimi-Couch: Barbara Vine - Ruth Rendell

 

Helmuth Schönauer, 26-05-2007

Bibliographie

AutorIn

Barbara Vine ( = Ruth Rendell)

Buchtitel

Aus der Welt

Originaltitel

The Minotaur

Erscheinungsort

Zürich

Erscheinungsjahr

2007

Verlag

Diogenes

Übersetzung

Renate Orth-Guttmann

Seitenzahl

457

Preis in EUR

22,90

ISBN

978-3-257-06550-3

Kurzbiographie AutorIn

Barbara Vine ( = Ruth Rendell), geb. 1930, lebt in London.