Josef Winkler, Roppongi

Buch-CoverRoppongi heißt jener Stadtteil von Tokio, in dem die österreichische Botschaft untergebracht ist. Dem Icherzähler wird an diese Botschaft die Nachricht übermittelt, dass zu Hause in Kärnten der Vater 99-jährig verstorben sei.

Der Autor kauft eine Kerze und zündet sie im Hotelzimmer an, er beschließt, nicht zum Begräbnis nach Kärnten zu reisen.

In dieses coole Todesritual hat Josef Winkler eine Orgie an Besessenheit, Abrechnung, Kulturkritik und Leben auf dem steilen Kärntner Lande hinein geschraubt.

Das Requiem für einen Vater hat schon vor Jahrzehnten begonnen, als der Vater mit dem Buben zu reden aufgehört hat, "mach uns keine Schande Sepp", heißt so eine Beschwörungsformel, die meist mit der Mistgabel in der Hand ausgesprochen wird. "Red' oder scheiß wenigstens Buchstaben!" ist ein nicht minder heftiger Versuch, den Kontakt abreißen zu lassen. Und als der Vater überhaupt beschließt, dass der Sohn Luft sei, ist es definitiv, so einer braucht auch nicht mehr auf das Begräbnis zu fahren.

Der Erzähler ist nach seiner brutalen Kindheit auf dem Bauernhof immer öfter nach Indien gefahren und hat sich in Varanasi dem Totenkult zugewendet. Im roten Notizbuch ist alles vermerkt, was es am Ufer des Ganges an Totenkult, Scheiterhaufen, Verbrennungen und schrumpelnden Gliedmaßen der Leichen zu sehen gibt. Gleich zu Beginn des Requiems wird das Aussterben der Geier beklagt, die im Geierkult eine bedeutende Rolle spielen, darin werden die Leichname nicht bestattet sondern den Geiern zum Fraße vorgeworfen.

In diese Weltkultur aus Indien sind die makaberen Totenrituale Kärntens eingezwängt. In allen Variationen berichtet der Icherzähler, wie sich Dorfbewohner aufgehängt haben, wie in manchen Häusern immer wieder der Tod auf eine Inspektion vorbei schaut, wie die Leichname mit bigotten Floskeln bestattet werden, während die Kärntner Seele immer wieder Kärntnerlieder anstimmt.

Und allmählich taucht auch der Vater als skurrile Figur in die ewigen Jagdgründe ab, fast ein Jahrhundert lang ist er am gleichen Fleck geblieben, nur der Krieg hat ihn insgesamt sechs Jahre hinaus aus Kärnten gebracht. Mit der Sterbeszene Winnetous, der sich gegen Schluss seiner Abenteuer taufen lässt und prompt die Madonna sieht, während das Totenglöckl von Santa Fé zu hören ist, beendet der Berichterstatter sein Requiem für einen Vater.

Trotz dieser unbarmherzigen Todesorgie des Erzählflusses gibt es immer wieder gnadenlos witzige Stellen, etwa wenn eine rustikal geschminkte Verwandte auf den Autor zustürmt und ihm mit kralligem Finger das Schreiben verbietet, oder wenn ein Hodentransplantierter und ein mit einer künstlichen Unterlippe Ergänzter Karten spielen und ein Blondes nach dem anderen saufen, bis der Kärntner Alltag wieder einmal für einen Tag vergangen ist. Ein anderer Patriot soll gar wie ein Gockel in seinem Kropf eine ganze Sammlung unzerkauter Hostien herumtragen.

Zu allen Gelegenheiten wird die stille Hymne gesungen: "Trog mi ause übern Onga..." (78) Roppongi ist das heftigste Heimatdokument, das je über Kärnten erschienen ist.

Josef Winkler, Roppongi. Requiem für einen Vater.
Frankfurt: Suhrkamp 2007. 160 Seiten. EUR 16,90. ISBN 978-3-518-41921-2.

 

Weiterführende Links:
Suhrkamp-Verlag: Josef Winkler, Roppongi
Wikipedia: Josef Winkler

 

Helmuth Schönauer, 08-10-2007

Bibliographie

AutorIn

Josef Winkler

Buchtitel

Roppongi. Requiem für einen Vater

Erscheinungsort

Frankfurt

Erscheinungsjahr

2007

Verlag

Suhrkamp

Seitenzahl

160

Preis in EUR

16,90

ISBN

978-3-518-41921-2

Kurzbiographie AutorIn

Josef Winkler, geb. 1953 in Kamering, lebt in Klagenfurt.