Wolfgang Bleier, Verzettelung
Verzettelung ist wohl das Lieblingswort eines Bibliothekars. Erst wenn er die Welt so halbwegs verzettelt hat, liegt sie ihm zu Füßen und er kann sie ins Regal stellen. Selbst in Zeiten der Digitalisierung gilt echtes Verzetteln als hohe Kunst.
Etwas Abschätzig hingegen wird dieses Wort Verzetteln unter Studenten gebraucht. Wenn sich ein Student einmal verzettelt hat, hängt seine Arbeit im Gestrüpp der Semester und er kommt da für längere Zeit nicht mehr zu einem klaren Gedanken.
Wolfgang Bleier schickt sein Ich als erzählendes, erlebendes und lyrisierendes Faktotum durch die Welt, damit diese einmal poetisch beschlagwortet werde. Die einzelnen Absätze geraten dabei zu echten Expeditionen, die fallweise jegliche Reisebestimmung unterwandern.
Schon eine schlichte Geburt eines Kindes geht stracks in ein Abenteuer über, bei dem die eingesetzten Hände und Füße blutig werden und noch dazu hat das Kind Würmer.
Dem Tag greife ich in die Speichen, also zersplittern meine Arme. Sterbende fahren im Zug, aber es gibt keinen Bahnhof. Ich krieche durch die Nacht. (35)
Zwischendurch ist die Prosa Wolfgang Bleiers zu heftigen Miniaufsätzen verklumpt, die alle Erzählgattungen sprengen. Surreal springt das Ich zwischen Tag und Nacht hin und her, am ehesten wird noch die Gattung Alptraum dem prosaischen Sinn-Gezocke gerecht.
Dabei werden die skurrilen Tatbestände immer wieder mit ganz einfachen Spielzügen der Beschreibung aufgerissen.
Wir waren Fischer; der Mann hat doch das Fischmaul und die Frau einen Karpfenmund. (10)
Sobald man sich als Leser auf einen Sound oder einen Stil zu hören glaubt, ist dieser auch schon wieder abgebogen und verschwunden.
Die Welt taucht allmählich ins Licht einer überirdisch genauen Erfindung. Zwei drei Sätze hintereinander gesetzt stimmen vielleicht, aber generell driftet der Erzählstrom immer wieder in traumähnliche Sequenzen ab, die scheinbar keine Logik aufweisen. Manchmal blitzt dieses Dada von Hans Arp zu, wenn er mit seinem Text ins Leere fährt. Und gerade wenn sich der Inhalt aufzulösen scheint, entsteht die heftigste Lyrik. Mit entsprechendem Pathos vorgetragen, ist die Verzettelung ein einziges großes Gedicht!
Wolfgang Bleier, Verzettelung. Prosa.
Salzburg: Otto-Müller-Verlag 2007. 127 Seiten. EUR 16,-. ISBN 978-3-7013-1133-0.
Weiterführende Links:
Otto-Müller-Verlag: Wolfgang Bleier, Verzettelung