Anna Stecher, Aus der Flügelstadt

Buch-CoverManchmal dauert ein Roman so lange wie eine Krankheit und umgekehrt kann sich eine Krankheit hinschleppen wie ein Roman.

In Anna Stechers Großerzählung Aus der Flügelstadt reist die kranke Mora mit ihrer Begleiterin Elisa nach Peking. Sie ist schwer krank, hat eine in Europa als unheilbar angesprochene Lähmung, die chinesische Heilkunst soll die letzte Rettung sein.

Während am Anfang noch die Müdigkeit des Fluges eine Rolle spielt und so etwas wie eine Handlung darstellt, schleicht in der Folge die Zeit gebückt durch den Krankentrakt und lähmt die Erzählung, Erwartung, Hoffnung und jegliche Zukunft. Als Leser gleitet man wochenlang durch das Zwiegespräch zwischen der pflegenden Elisa und der siechen Mora. Es geht um Hygiene auf dem Leintuch, Farbenspiel auf der Tuchent, Lichtreflexe im Zimmer, Geräusche von außen und seltsame Speisen, die im Körperinnern wilde Tänze aufführen. Eine Ordinationshilfe stammt offensichtlich aus Italien, weshalb das geflügelte Wort "domani" heißt, kann sein, kann nicht sein.

Alles wartet auf den Wunderdoktor, der die totesten Körper zum Leben zurück operieren wird. Aber der Wunderwuzzi ist noch in Amerika, niemand weiß, wann "domani" ist. So vergeht die Zeit mit dem Vorüberplätschern chinesischer Warte-Kultur. Manchmal wird chinesisch geschrieben ein Wort in den europäischen Satzbau gesteckt, worauf der ganze Absatz entzwei bricht.

Ein paar mal dringen Sanwen in die Erzählung ein, es handelt sich dabei um kurze chinesische Liebesstories, die irgendeine Kleinigkeit im Alltag besingen und zur Liebe erklären.

Dann endlich kommt der Wunderdoktor. Es wird operiert, der steife Körper soll wieder Flügel bekommen. Zur Rekonvaleszenz gehört es sich, dass sich die Patientin in den Arzt verliebt. So halb in Narkose liegend lässt sich auch schnell an eine Heirat denken. Der Geliebte tritt dabei als Therapeut und Clown auf, gibt als Mann jedoch eine schlechte Figur ab. (233)

Irgendwie wird es Zeit für Elisa, den Heimflug anzutreten, Mora bleibt wohl noch in der Flügelstadt, bis sie vielleicht selbst abheben kann.

Anna Stecher erzählt und erzählt, bis die Figuren restlos müde sind. Aber so ist nun mal eine lange schwere Krankheit, sie frisst jegliches Zeitgefühl zusammen, bis man sich nichts anderes mehr als Krankheit vorstellen kann. Dieser Heilungstourismus nach China entlarvt sich mit der Zeit von selbst, die Hoffnung auf Heilung in China mag real sein, aber die erzählten Anwendungen lassen die Figuren schier verzweifeln. Anna Stechers Mega-Erzählung ist ein geduldiger Versuch, europäische Projektionen und chinesische Heilmethoden zu einem langen Zeit-Zopf zu verflechten.

Anna Stecher, Aus der Flügelstadt. Erzählung.
Bozen: Edition Raetia 2008. 289 Seiten. EUR 9,50. ISBN 978-88-7283-305-6 .

 

Weiterführende Links:
Edition-Raetia: Anna Stecher, Aus der Flügelstadt
Bücher-Wiki: Anna Stecher

 

Helmuth Schönauer, 21-04-2008

Bibliographie

AutorIn

Anna Stecher

Buchtitel

Aus der Flügelstadt

Erscheinungsort

Bozen

Erscheinungsjahr

2008

Verlag

Edition Raetia

Seitenzahl

289

Preis in EUR

9,50

ISBN

978-88-7283-305-6

Kurzbiographie AutorIn

Anna Stecher, geb. 1980 in Meran, lebt zur Zeit in Peking.