Mike Markart, Dillingers Fluchtplan oder Karajan umzubringen war mir ein Bedürfnis

Buch-CoverDer beste Erzähler ist nach wie vor ein Parasit, der mitten im Text seine Zwischenwirts-Helden umbringt.

Mike Markarts Erzählkonzept ist genial. Ein Ich-Erzähler kann sich im Schlaf nur dann halbwegs regenerieren, wenn er darin in eine andere Figur schlüpft. Diese Figur muss eliminiert werden, erst dann gibt es ein sattes Aufwachen und räkelndes Durchstrecken des erzählenden Körpers.

Während manche Figuren ziemlich easy beiseite zu räumen sind, man denke etwa an Extrem-Sportler, die gerade zu betteln, dass sie sich beiseite räumen dürfen, machen andere ganz schöne Schwierigkeiten.

Eine besonders harte Nuss ist John Dillinger (1903-1934), den das FBI in Ermangelung von echten Schurkenstaaten als Staatsfeind Nummer eins führt. Dieser Dillinger sitzt gerade im Gefängnis ein, als der Ich-Erzähler durch Schlaf in seinen Körper zischt und ihm allerhand seltsame Gedanken in den Kopf setzt. Einmal gilt es zu fliehen, andererseits sich zu beruhigen. Gerade Dillinger kann schwer das eine vom andern unterscheiden und ist furchtbar aufgebracht, als es zu fliehen gilt.

Aber einmal im Freien, ist Dillinger kein großes Glück beschieden, immerhin muss der Erzähler den Fall zu Tode bringen, sonst gibt es kein Happyend. In einer der schönsten Suggestionsstellen der Weltliteratur befiehlt der eingeschlichene Schläfer seinem Helden, "endlich zu ziehen". Und gottseidank ist das FBI zur Stelle und knallt den Dillinger ab, dass es nur so eine Freude ist. - Müde von der Geschichte im anderen Körper, wacht der Erzähler auf und ist relaxed wie seine Leser.

Da liegt der Fall Karajan viel salziger im Gute-Nacht-Ambiente. Das Ekel Karajan weckt beinahe bei jedem, der damit zu tun hat, die Lust nach einem ordentlichen Würgegriff. Der Erzähler freilich geht raffinierter vor und flößt dem hektischen Karajan ein, er solle überall nachsalzen, wie es dieser ja in der Musik zu tun pflegt. Dem Karajan-Körper bekommt dieses ewige Nachsalzen nicht gut, und er stellt auf natürliche Weise seine Körperfunktionen ein.

Letztlich ist es diese kühne Erzählposition, die den Leser mitreißt. Alles, was während einer Lektüre üblicherweise über stille Vereinbarungen funktioniert, wird hier zu einem großartigen Strategiespiel aufgedonnert, worin der Erzähler mit Hilfe seines Lesers die Helden der Weltgeschichte steuert.

Absurd witzig, hinterhältig kalt, gesotten frech - eine wunderbare Erzählung.

Mike Markart, Dillingers Fluchtplan oder Karajan umzubringen war mir ein Bedürfnis. Erzählung.
Wies: Edition Kürbis 2008. 103 Seiten. EUR 14,90. ISBN 978-3-900965-34-1.

 

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Helmuth Schönauer, 10-06-2008

Bibliographie

AutorIn

Mike Markart

Buchtitel

Dillingers Fluchtplan oder Karajan umzubringen war mir ein Bedürfnis

Erscheinungsort

Wies

Erscheinungsjahr

2008

Verlag

Edition Kürbis

Seitenzahl

103

Preis in EUR

14,90

ISBN

978-3-900965-34-1

Kurzbiographie AutorIn

Mike Markart, geb. 1961 in Graz, lebt in Stainz.