Michael Amerstorfer, Besuch

Buch-CoverIn heftigen Erzählungen tobt manchmal das Ich gegen seine eigenen Erzähl-Wände.

In Michael Amerstorfers Erzählung Besuch ist das erzählende Ich in einer psychiatrischen Klink eingefangen, die Kommunikation ist restlos gestört und der Insasse der Erzählung schlägt gegen seine eigenen Gesprächsteile wie gegen eine Gummiwand.

In Reichweite des Patienten steht ein Recorder, so dass sich die Illusion ergibt, hier könnte man arbeiten, Texte auf Band sprechen oder ein Gespräch gegen die Zeit schleudern. In Wirklichkeit bleibt es bei Monologen, die sich nur scheinbar als Anrede an konkrete Menschen gebärden.

Zuerst kommt der Mitinsasse Ludwig dran, er wummert apathisch vor sich hin, und indem der Erzähler sich beiläufig um Ludwig kümmert, verfällt er in die gleiche Agonie, aus der er seinen Mitpatienten gerade befreien will.

Zweite Stufe eines Monologes gegen die Wand ist eine Abrechnung mit dem Arzt, der wohl seine Studien absolviert hat aber letztlich nichts von Psychiatrie und  Einsamkeit versteht und den Sinn des Verstummens beileibe nicht kapiert hat.

Der dritte Versuch einer Kommunikation richtet sich an Lisa, sie ist eine Art Ferngeliebte, nicht greifbar aber in der Wunschvorstellung ungeheuer real. Sie wird sicher kommen und einen Besuch abstatten, sonst hätte ja alles keinen Sinn. Der Erzähler richtet Texte, die schon längst abgespult sind, erneut an die Geliebte in der Hoffnung, es könnte ein Feed-Back kommen.

Briefe schreiben, Gespräche anbahnen, mit dem Zug zwei Stunden zur Geliebten fahren, die aber wieder einmal nicht da ist, langsam verschwindet alles in einem Strom voller Sehnsucht, Verweigerung und Zurücknahme.

"Ich will niemanden einschließen, mich eingeschlossen", (60) heißt es am Schluss.

Michaele Amerstorfers Erzählung ist eine intensive Studie über das Verstummen in sich selbst. "Es ist ja so schön, das Schweigen, weil es alles offen lässt und zugleich alles vermummt", steht am Cover.

Die Psychiatrie ist ein zurückgenommenes Ambiente, in dem sich der Protagonist mit sich selbst austoben kann, aber weder die Kollegialität von Mitpatienten, noch die Fachkraft der Medizin, noch das idealisierte Wunschbild einer Frau können diesem verstummenden Ich helfen.

Der Besuch findet letztlich wie alles, was es an Wahrnehmung gibt, nur im Kopf statt. Vermutlich muss man sich selbst besuchen, wenn man jemanden auf dieser Welt treffen will.

Michael Amerstorfer, Besuch.
Norderstedt: BoD 2008. 60 Seiten. EUR 9,-. ISBN 978-3-8370-1706-9.

 

Weiterführende Links:
BoD: Michael Amerstorfer, Besuch

 

Helmuth Schönauer, 21-07-2008

Bibliographie

AutorIn

Michael Amerstorfer

Buchtitel

Besuch

Erscheinungsort

Norderstedt

Erscheinungsjahr

2008

Verlag

BoD

Seitenzahl

60

Preis in EUR

9,00

ISBN

978-3-8370-1706-9

Kurzbiographie AutorIn

Michael Amerstorfer, geb. in Innsbruck, lebt seit 1987 in England.

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