David Wagner, Spricht das Kind
Oft lässt sich das Leben anhand der kaputt gefahrenen Autos beschreiben, die der Held im Laufe seiner Biographie erledigt hat. Eine Kindheit anhand der verbrauchten Kinderwagen zu beschreiben, ist natürlich eine raffinierte Methode, das anstehende Leben in den Griff zu bekommen.
David Wagner erzählt in leisen Portionen von jener aufregenden Welt, worin Kinder leben und dabei Erwachsene mitreißen.
Kinderwagen. Nummer eins wurde zu klein, das Kind wuchs heran. Nummer zwei war zu schwer und ließ sich schlecht manövrieren. Wagen Nummer drei ging kaputt, Nummer vier wurde gestohlen. Nummer fünf blieb in Spanien, es lohnte sich nicht mehr, ihn mit zurückzunehmen. Nummer sechs verlor ein Rad, Nummer sieben fährt noch, gerade eben so. Jetzt kann das Kind laufen. (5)
Das Kind bringt nicht nur eine neue Sicht der Welt ins Spiel, es bringt auch den Erzähler auf Trab. Denn alles, was so an Rapunzel, Hänsel und Gretel und anderen Figuren anfällt, hat der Erzähler selbst schon einmal erlebt. Es brechen sozusagen romantische Wunden der eigenen Kindheit auf.
Die Welt zwischen Kindern und Erwachsenen ist voller Rätsel und semantischer Schlieren. Für die Geburt braucht es beispielsweise einen Bohrer, den man richtig ansetzen muss, damit das Kind auf die Welt kommt. Aber auch die Erwachsenen können diesen Bohrer verwenden, indem sie damit die Kindheit erschließen. Alles ist vernünftig, was so im Laufe eines Kindergespräches ans Tageslicht tritt.
Manchmal lehnt sich der Vater zurück und gibt für sich die Parole aus: Die Kinder sind nur geliehen. Mit diesem Trick schafft er es, die Zeit zu durchtauchen und die abfließende Kindheit seiner Tochter auszuhalten. Wenn das Kind spinnt, ist die Leihfrist abgelaufen und aus dem Kind ist ein monströser Erwachsener geworden.
"Sie haben ihr Ziel erreicht" (91) heißt es gegen Ende des Textes, mit der Stimme eines Navigationssystems werden die Erwachsenen darauf hingewiesen, dass sie jetzt mit dem Erziehungsprogramm fertig sind. Erziehen ist wahrscheinlich nichts anderes als navigieren, nur dass eben das Ziel unklar ist.
David Wagner erzählt mit seinen kleinen Prosaschüben, wie sich allmählich aus der märchenhaften Kindheit etwas Undurchschaubares wie das Leben entwickelt. Solange das Kind spricht, scheint alles klar zu sein. Aber Seite für Seite wuchert das Dickicht des Daseins über diese Sicht, und siehe, erst dieses Dickicht gestattet die freie Sicht.
David Wagner, Spricht das Kind.
Graz: Droschl 2009. 138 Seiten. EUR 18,-. ISBN 978-3-85420-751-1.
Weiterführende Links:
Literaturverlag-Droschl: David Wagner, Spricht das Kind
Wikipedia: David Wagner