Markus Köhle, Bruchharsch

Buch-CoverAn den Inuit bewundern wir vor allem ihre Sprachgewalt, dass sie für das eine Ding, das wir mehr oder weniger von der Zivilisation eingekokst Schnee nennen, einige Dutzend Begriffe haben. Ähnlich ergeht es vielleicht einem Autor.

Was wir Leser auf den ersten Blick harmlos Prosa nennen, dafür hat ein Sprachkompetenter Kreator allerhand Begriffe. Markus Köhle etwa nennt seine frische Prosa Burchharsch, und darin sind die Erzählsorten aufgefädelt: Firn, Harsch und Sulz.

Tatsächlich sind es ständig wechselnde Erzählzustände, die diese Prosa bis hin zum schweren Sulz aufrufen. Quasi auf jeder Seite beginnt ein neuer Ton, die Sätze greifen manchmal ineinander über, jemand führt vielleicht mit sich selbst einen Mono-Dialog, dann wiederum sprengen sich die Sätze selbst in die Luft und landen als Klangmaterial auf einer semantisch leergefegten Fläche.

In den puren Erzählfluss sind unvermittelt Zitate eingeflochten, es wimmelt von literarischen Anspielungen, und mittendrin nennt sich der Text "Notizbuchverdichtungen". Da kann in einem einzigen Satz der Sprachphilosoph Ludwig Wittgenstein einen Kommentar ablassen, der scheinbar mühelos vom Alltagsphilosophen Franz Schuh aufgenommen wird und abschließend aus der Hüfte heraus zu einem Poetry Slam wird.

Manchmal kratzen einzelne Sätze aus der Schneefläche heraus und verankern sich unvergesslich im Leser.

Wenn die Schamlippen klappern, kann man schon von Gefühlskälte sprechen. (83)

Früher ein Herrgottswinkel, jetzt eine beinahe lebende, allenfalls aber leuchtend-bellende Wandkonsole mit Schollenästhetik und einer traurigen Anschraubplatte. Da helfen nur ein Eierlaufsteilpass und eventuelle Pilze, die es nie zu Berühmtheit gebracht haben. (95)

Am Konkretesten, wenn es in dieser Massierung von Erzählschnee überhaupt etwas Konkretes gibt, ist der Kreuzweg eines Dichters. Er hat wie beim Original vierzehn Stationen zu durchlaufen, ehe sein Leichnam in die Kiste der literarischen Unsterblichkeit gelegt wird. Selbstverständlich hilft dabei der Kyrene Verlag dem gefallenen Autor auf, ehe er mit seinem Dichterkreuz wieder hinfällt. Der Weg eines Schriftstellers ist eben ein Leidensweg.

Markus Köhle zerlegt mit der Zeit sämtliche Literaturgattungen, die ihm unter die Finger kommen. Das Sprachmaterial und die aufgerufenen Inhalte kommen sich dabei lustvoll in die Quere, Erzählfleisch und Erzählknochen werden mit großer Inbrunst abgenagt. Entleerung, Verweiger mal wieder, Verhackertes, Unterwasser-Blues oder Loops des Grauens deuten darauf hin, nach welcher Methode die einzelnen Kapitel zerstoßen, ausgetreten und zu Bruchharsch verklopft werden. Ein lustvoller Parforce-Ritt durch die gängigen Erzählmuster, mit großem Anarchie-Anteil.

Markus Köhle, Bruchharsch. Prosa.
Innsbruck: Skarabaeus 2009. 128 Seiten. EUR 15,90. ISBN 978-3-7082-3259-1.

 

Weiterführende Links:
Author: Markus Köhle - Bücher
Skarabaeus-Verlag: Markus Köhle, Bruchharsch

 

Helmuth Schönauer, 17-03-2009

Bibliographie

AutorIn

Markus Köhle

Buchtitel

Bruchharsch

Erscheinungsort

Innsbruck

Erscheinungsjahr

2009

Verlag

Skarabaeus

Seitenzahl

128

Preis in EUR

15,90

ISBN

978-3-7082-3259-1

Kurzbiographie AutorIn

Markus Köhle, geb. 1975 in Nassereith, lebt in Wien.

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