Maria E. Brunner, Indien Ein Geruch

Buch-Cover"Es ist der Geruch, der Indien ausmacht!" (34) Maria E. Brunner bringt in ihrer Prosa über Indien so gut wie alle Sinnesorgane in Stellung, Zitate aus Studien, Analysen authentischer Reisen, die Hinterseite von Prospekten werden genauso verwendet wie verdrehte Drehbücher aus Bollywood und Investitionskampagnen von Wirtschaftstreibenden.

Aber nichts kommt an das heran, was man in Indien riecht, ein Gemisch aus Kerosin, Kot, Räucherstäbchen und Fäkalien.

In diesen dichten Prosa-Stücken springt einerseits die Literatur der intensiven Erkenntnis hervor, andererseits sagen diese Texte mehr aus als übliche Reportagen oder Reiseberichte.

Ab und zu lassen sich ein paar Tentakel erkennen, die aus dem Text herausragen, obwohl letztlich alles wie bei einer Krake über das Land gestülpt ist. "In Mumbai aber herrscht die Krake." (72)

Im ersten langen Textabschnitt geht es um diese verzwickte Kastenlage zwischen oben und unten, arm und reich, und wie bei einem Song entstehen dann so Merksätze wie "Das einfache Leben, die Schönheit der Armen. In Indien sind diese beiden Ideen eins geworden." (17) In dieser Sequenz wird immer wieder auch der Blick auf Mädchen geworfen, die wie Vieh gehalten und aus einer Alltagslaune heraus verheiratet werden und denen Bildung und Recht verweigert werden.

Aber wie abstrus es oft in Bildungseinrichtungen zugeht, zeigt eine entlegene Universität, aus der letztlich alle abhauen, die es noch schaffen. Die Mädchen müssen immer zu zweit über den Campus gehen, weil sie offensichtlich Freiwild für das Personal sind, der Direktor hat sich längst zurückgezogen in sein Kämmerchen und hat für seine Vorlesungen Hilfspädagogen angestellt, die irgendetwas machen oder auch nicht, weil es egal ist.

Eine einhörnige Kuh und ein Kalb stehen im trüben Wasser in einem Schwarm von Mücken und Fliegen. In der Monsunzeit füllt sich die Senke der Liebesbrücke mit Wassermassen, die in die offenen Fakultätsgebäude hineinströmen - es gibt keine Tore - und in die nackten Diensträume und Bibliotheken. Die unterste Reihe von Büchern auf den Regalen ist im letzten Monsun untergegangen. (24)

Aber auch wenn ausländische Austauschlehrer kommen, tragen sie bei Tagungen immer das gleiche sinnlose Referat vor, das ihnen offensichtlich jährlich eine billige Dienstreise nach Indien ermöglicht. (47) 

Eine solche Abrechnung mit diesem akademischen Reisebetrieb, der offensichtlich zwischen den europäischen Universitäten und Indien besteht, hat man schon lange nicht mehr gelesen. Ob es Wirtschaftstreibende besser machen, wenn sie sich mit einer Firma in Indien niederlassen, darf bezweifelt werden.

Fazit: Wie immer der Europäer in diese Geruchs-Kloake Indien vordringt, ob als Reisender, Sozialarbeiter, Pseudo-Meditierer, Wissenschaftler oder Wirtschaftstreibender, er steht immer daneben.

Maria E. Brunner hat mit diesem heftigen Text alle gängigen Indien-Klischees gekappt und einen Geruch zwischen die Zeilen gelegt, der den Leser schaudern und nachdenken lässt.

Maria E. Brunner, Indien. Ein Geruch. Mit Fotos von Arnold Mario DallO.
Wien, Bozen: Folio Verlag 2009. 88 Seiten. EUR 19,50. ISBN 978-3-85256-474-6.

 

Weiterführende Links:
Folio-Verlag: Maria E. Brunner, Indien. Ein Geruch
Lyrikwelt: Maria E. Brunner

 

Helmuth Schönauer, 24-02-2009

Bibliographie

AutorIn

Maria E. Brunner

Buchtitel

Indien. Ein Geruch

Erscheinungsort

Bozen

Erscheinungsjahr

2009

Verlag

Folio Verlag

Illustration

Arnold Mario DallO

Seitenzahl

88

Preis in EUR

19,50

ISBN

978-3-85256-474-6

Kurzbiographie AutorIn

Maria E. Brunner, geb. 1957 in Pflersch, ist Literaturprofessorin in Schwäbisch Gmünd.