Enno Stahl, Heimat & Weltall
Vermutlich gibt es kein größeres Gegensatzpaar als die Heimat rund um uns und das Weltall weit weg von uns. Enno Stahl siedelt seine zwei Zyklen einmal ganz nah und einmal ganz ferne an, aber da die Methode der Darstellung gleich ist, vermischen sich auch Nähe und Ferne.
Heimat und Weltall sind zwei Seiten einer Medaille, heißt es in der Einführung, es geht um das Projekt einer prosapoetischen Deterritorialisierung. (7)
Zu diesem Zweck werden jeweils im Heimat-Teil Fotos gezeigt, die uns irgendwie vertraut sind. Ein Baum steht mutterseelenallein im Park und schafft Vertrautheit, ein Kriegerdenkmal winkt mit seiner Figur in den Regen hinein, auf einem sogenannten Revoluzzer-Markt fordern Demonstranten Deutschland zum halben Preis.
Im Text dazu werden freilich diese scheinbar klaglos funktionierenden Bilder aufgebrochen, indem beispielsweise nur ein winziges Segment der Wahrnehmung zugelassen wird, der Textfocus bewusst auf eine undichte Stelle der Logik gelegt wird oder Erzählsorten nach einem geheimnisvollen Code vertauscht werden. Pflanzen, Wege, Orte bilden die Kernsubstanz dieser Erzählfurchen durch die Heimat.
Dieser Pfad birgt Geheimnis: so sehr ihn des Sonntags Spaziergänger, Skater und Radfahrer bevölkern ... Links und rechts nimmt sich die Natur ihr Recht, wuchert mit Farnen und Nesseln: schafft ein Dickicht aus Hinterhalt ... (26)
Im Abschnitt über das Weltall schauen natürlich auch die Bilder dementsprechend aus, es handelt sich meist um Entwürfe, Skizzen oder technische Baupläne, nach denen das Zusammenleben der Science-Fiction-Menschen geregelt werden soll. Selbst in Bereichen der Lust und hochgezüchteter Erotik bedienen sich die Kunden technischer Geräte, bohren sich voller Genuss eine Spirale ins Hirn, spreizen die Beine ins Leere und versuchen mit dem Genital die Schwerkraft zu überwinden.
dunkle materie / heilloses nichts // + dann war da nichts als schwarz: alle geraete zeigten - nichts an. also alles schwebte. Das schiff wuszte nicht mehr weiter. Die crew wuszte eigentlich auch nicht mehr weiter. 1 situation der totalen leere. Raumleere sinnleere. (65)
Der Zyklus über das Weltall endet quasi in voller Entropie, aus Pampas wird Tundra.
Enno Stahl erzählt scheinbar lieblich von der Heimat und kalt vom Weltall, aber die Sätze sind längst mit Pelzern aus anderen semantischen Bereichen aufgepfropft. Das Unendliche findet oft auf einer Wegkreuzung im dichtesten Wald seine fulminante Exploration, während das heimelige Kleinod in die Unendlichkeit verpufft, sobald man es zu innig betrachtet. Tatsächlich sind Heimat und Weltall zwei Seiten einer verlorengegangenen Münze.
Enno Stahl, Heimat & Weltall. 2 Zyklen. Fotos.
Klagenfurt: Ritter 2009. 105 Seiten. EUR 13,90. ISBN 978-3-85415-440-2.
Weiterführende Links:
Ritter-Verlag: Enno Stahl, Heimat & Weltall
Homepage: Enno Stahl