Stephanie Mold, Ich bin wie Zucker

Buch-CoverJung und blond in Istanbul. - Die Klischee-Maschine in unseren Leseköpfen springt schon an!

Stephanie Mold schickt eine ziemlich unattraktive Frau als Erzählerin ins Rennen, aber sie hat wie in einem blöden Schlager die totale Aussagekraft: sie ist blond.

Die Erzählerin stammt aus Österreich und mimt eine Erasmus-Stipendiatin mit Lust auf mehr. In einem Erasmus-Stipendium geht es oft um nichts, außer dass es die EU bezahlt. Um diesen Eindruck zu verfeinern, reist die Erzählerin noch einmal nach Istanbul, jetzt aber mit einem konkreten Anliegen: sie will das Innenleben der Stadt zeigen, zerlegt in Männer, die in ihren geistigen Boxen hausen.

"Hattest du viele Männer?" - "Ich sehe das eher als Feldforschung. Ich gehe mit einem mit und schreibe nachher Geschichten über ihn und baue sein Zimmer als Miniatur nach, die Männer selbst forme ich aus Plastillin. (171)

Die sogenannten Künstler-Projekte zischen ohnehin immer um die klassische Frage: Darf die Beobachterin Gefühle mitlaufen lassen, während sie ihr kaltes Beobachtungsprogramm abspult?

Dann immer diese seltsame Frage, haben sie Sex oder nicht? Sex erweist sich als ideale Anknüpfung, Ware und Installation zwischen den Menschen mit unterschiedlich gebauten Geschlechtsorganen.

Aber in Istanbul scheint es einen zusätzlichen Gefühlsauslöser zu geben: Blond! Einmal sogar ist ein Mann so diskret, dass er, während er sich in das blonde Haar vergafft, sagt: Du bist wie Zucker!

Langsam wissen wir durch die Hintertür von einer einmaligen Ansicht Istanbuls. So also ticken die Männer, so also sprechen sie, so also fahren sie auf dieses Blond der Gefühle ab.

Damit man als Leser nicht völlig in diesem Blond-Gewirre untergeht, fährt die Erzählerin durchaus selbstbewusst zur Großmutter ins Tullnerfeld, was wirklich Entlegenheit und Öde in einem ist. Und auch der österreichische Gegenbesuch durch die Mutter zeugt eher von österreichischem Belehrungs-Senf, der aber in Istanbul nicht als solcher wahrgenommen wird.

Mit ständigem Ortswechsel, sexuellen Beinahe-Bewegungen mit Vermietern, Schein-Überlebenskämpfen kommt die Kunst-Installateurin ihrem Ziel ziemlich nahe.

Ich bin wie Zucker ist voller Lese-Genuss für blonde und unblonde Leser. Stephanie Mold macht Dampf im Erzählstrom. Kulturtransfer, Erotik, Stadtkultur und Überlebenskampf der Einheimischen werden in einer inneren Reportage an die Wand gespielt. - Letztlich ist alles eine Installation!

Stephanie Mold, Ich bin wie Zucker. Jung und blond in Istanbul. Roman.
Wien: edition a 2009. 228 Seiten. EUR 19,90. ISBN 978-3-99001-000-6.

 

Weiterführende Links:
Edition a: Stephanie Mold, Ich bin wie Zucker

 

Helmuth Schönauer, 27-06-2009

Bibliographie

AutorIn

Stephanie Mold

Buchtitel

Ich bin wie Zucker. Jung und blond in Istanbul

Erscheinungsort

Wien

Erscheinungsjahr

2009

Verlag

edition a

Seitenzahl

228

Preis in EUR

19,90

ISBN

978-3-99001-000-6

Kurzbiographie AutorIn

Stephanie Mold, geb. 1980, studierte Malerei in Linz und lebte zwei Jahre in Istanbul.