Sandra Hughes, Maus im Kopf

Buch-CoverDie Maus ist mittlerweile zu einem Epochenwort geworden. Während die Älteren noch an das kleine Nagetier aus dem Keller denken, denken die Jüngeren ausschließlich an dieses kleine Ding, das elegant in der Hand liegt und den Curser auf dem Bildschirm bewegt.

In Sandra Hughes Roman spielen beide Mäuse eine Rolle. Der Held nämlich ist einsamer Computer-Freak und verschreckter Lebens-Solist in einem.

Finn Linder ist mittlerweile von der Gesellschaft isoliert, er hat einmal als Buchhalter gearbeitet, bis er gekündigt worden ist, und war ein paar Jahre relativ notdürftig mit einer Frau verheiratet, ehe sie ihn verlassen hat. Jetzt ist er fahrlässig übergewichtig und zappt zwischen klassischen Kreuzworträtseln und der weiten Welt des Internets hin und her.

So gehen denn auch Fragestellungen im Kreuzworträtsel fließend in Geschichten über. Was eigentlich bloß als Lösungswort eingesetzt werden sollte, wuchert jeweils zu einem Stück Erinnerung aus, das Leben hat sich völlig kreuz und quer zu einem erinnerungsträchtigen Buchstabenhaufen verästelt.

Der Übergang zwischen erlebter Realität und angewandter Phantasie erfolgt fließend. Finn Linder braucht beispielsweise dringend Kartoffelchips, er unterbricht seine Internet-Ausflüge und macht sich scheinbar real auf den Weg zu einem Inder, der um diese Zeit noch Knabbereien anbietet. Auf dem Weg dorthin wird er von einer Frau in eine Etagenwohnung geführt, die sich Paradies nennt. Nach gelungener sexueller Erregung kauft sich der Maus-Experte doch noch seine Chips, er wird sie schnell verschlingen, zumal er die Kunst des punktgenauen Erbrechens beherrscht.

Am nächsten Tag stellt sich heraus, dass alles ganz anders abgelaufen ist. Statt einer Nacht sind fünf Tage vergangen, in der Paradies-Wohnung lebt ein keifender Alter, der mit der Polizei droht, sollte der ernüchterte Phantast nicht schleunigst verschwinden.

Und dann bricht die Maus-Katastrophe aus. Eine echte Maus pirscht sich immer an den Helden heran, wenn dieser im Internet maust und macht ihn mit ihrem Pfauchen verrückt.

Da ist sie. Sie hockt vor ihm, sie begleitet ihn bei seiner Suche, jede Nacht. Chtchtcht. Ihn schwindelt leicht, Buchstaben flimmern über den Bildschirm, setzen sich zu Wörtern zusammen, Sätzen, blitzschnell. Er reibt sich die Augen. (149)

Jetzt ist alles aufgelöst, die Zeit, die Erinnerung, das Lebensprogramm, der Lebenssinn. Es geht bloß noch darum, die Maus auszuhalten und die Buchstabenkombinationen nicht aus dem Auge zu verlieren, fern jeden Sinns.

Sandra Hughes hat ein bedrückendes Porträt eines einsamen Dutzendhelden komponiert. Wir alle kennen diese einsamen Typen, die wir nie zu Gesicht bekommen, weil sie immer am anderen Ende des Netzes an ihrem Einsamkeits-Screen sitzen.

Sandra Hughes, Maus im Kopf. Roman.
Zürich: Limmat 2009. 198 Seiten. EUR 21,50. ISBN 978-3-85791-584-0.

 

Weiterführender Link:
Limmat-Verlag: Sandra Hughes, Maus im Kopf

 

Helmuth Schönauer, 31-10-2009

Bibliographie

AutorIn

Sandra Hughes

Buchtitel

Maus im Kopf

Erscheinungsort

Zürich

Erscheinungsjahr

2009

Verlag

Limmat

Seitenzahl

198

Preis in EUR

21,50

ISBN

978-3-85791-584-0

Kurzbiographie AutorIn

Sandra Hughes, geb. 1966 in Luzern, lebt in Allschwil bei Basel.

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