Christl Greller, bildgebendes verfahren

Buch-CoverChristl Greller zieht den Leser mit dem Titel bildgebendes verfahren in eine Zone, wo eigene Gesetze herrschen. Schon im ersten Gedicht tönt dieser fröhliche Trotz hervor, wenn eine Lyrikerin in der Großstadt schwer lenkbar durch die Motive und Gedanken huscht, ehe sie schmunzelnd ein Motto für sich selbst ausgibt: "muss ich meine buchstabensuppe / alleine auslöffeln..." (7)

Dieses lyrische Ich wird an manchen Tagen gebeutelt von Kälte, Frost und fernen Frostbeulen, die man auf den ersten Blick einer Stadt und in ihr erträumten Gegenden gar nicht zumutet.

Mit dem Gedicht "Vivisektion" (24) lässt sich vielleicht die Vorgangsweise verstehen, mit der die Autorin Zeilen aufsetzt, aber sie im gleichen Augenblick von innen her aufsprengt, wie es gefrorenes Wasser in Felsklüften tut.

In Vivisektion ergeben die Schatten der Bürokratie ähnlich einer Struktur am Röntgenschirm einen Umriss, der auf Anhieb nichts mit einem Individuum zu tun hat. Andererseits jedoch "durch-scannt" diese lyrische Figur den Scanner der Allgemeinheit, ohne deshalb etwas aus dem Reich der Geheimnisse zu verlieren. In der Lyrik sind viele per Du, aber die meisten nagen am Ich, könnte man salopp formulieren.

So sind auch viele Gedichte knapp an einer Tagesnotiz angesiedelt, die sich wie zufällige Funde der Beobachtungslust geben. Donners Groll, Gespenster, Vorweihnachtsabend, Abhören, Fremdhören sind solche Beispiele, wo scheinbar zufällig ein Bild entsteht, aber schon längst Rhizom-artig es die Dinge miteinander zu tun kriegen.

Und zwischendurch lugt das lyrische Ich aus den Ritzen des Beobachteten, befasst sich mit der eigenen Lage und lässt sich dann behutsam von den Ereignissen zudecken.

zu wenig// in den spalten und rillen, wo / die zeit ein wenig, ein / kleinwenig einreißt / in ihren winzigen / sprüngen und rissen suche / ich mich und mein zuhause. / so wenig nur für mich / so wenig bleibt. mit den fingerspitzen / das mauerwerk der zeit abtasten, / verzweifelt hastig, / die lücken, die ritzen wenigstens, / spüren aufspüren, / die rückzugsspalten, so wenige nur. zu wenig zum / leben. (26)

Vielleicht sind Lyrikerinnen immer Vertreterinnen einer Mangelwelt, es gibt zu wenig von ihnen, sie leben oft in prekären Verhältnissen, sie sind umgeben von diesem Zuwenig, das sie manchmal vom stolzen Bewusstsein ausschließt. Aber andererseits liegt gerade in diesem Zuwenig dieses Geheimnis, das uns Leser so mit-zittern und für die Geheimnisträgerinnen hoffen lässt.

Christl Greller, bildgebendes verfahren. Gedichte. Mit einem Vorwort von Rudolf Kraus und Illustrationen von Traute Molik-Riemer.
Neuhofen: resistenz 2009. 118 Seiten. EUR 14,90. ISBN 978-3-85285-181-5.

 

Helmuth Schönauer, 02-02-2010

Bibliographie

AutorIn

Christl Greller

Buchtitel

bildgebendes verfahren

Erscheinungsort

Neuhofen

Erscheinungsjahr

2009

Verlag

resistenz

Illustration

Traute Molik-Riemer

Seitenzahl

118

Preis in EUR

14,90

ISBN

978-3-85285-181-5

Kurzbiographie AutorIn

Christl Greller, geb. in Wien, lebt in Wien.

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