Ekkehart Baumgartner, Bruchlinien

Buch-CoverIn einer Gesellschaft, die voll auf Glätte abfährt, wirken bereits Haarrisse wie unüberwindliche Klüfte.

In Ekkehart Baumgartners Roman Bruchlinien geht es um diese kleinen Unebenheiten in einer polierten Fläche des Lebenssinns. Aalglatt, erfolgreich und durchgestylt führen Pia und Stefan ein Schicki-Micky-Leben in München.

Aber das Leben ist eben mehr, als ein perfekter Lebensstil. So packen die beiden ihre Siebensachen und machen sich auf in den Norden, dort hat Stefan auf einer Insel das Haus seiner Kindheit renovieren lassen und zu einem gepflegten Aussteiger-Domizil umgebaut.

Pia zog Stefan weg vom Meer und ging mit ihm den beleuchteten Fenstern ihres neuen Hauses entgegen. Sie verschränkten beide die Arme vor der Brust. Der Wind kroch durch Jacke und Mantel. Geisterhafte Bäume stachen durch die Nacht und den aufziehenden Nebel. Die aufgeweichte Wiese war beinahe gefroren. Sie betraten wieder das beheizte Haupthaus und rieben sich die kalt gewordenen Hände. (43)

Die ersten Tage verlaufen abenteuerlich aufregend, wie man eben als frisch aus der Stadt geflüchtetes Paar jedes Gräschen und Moos-Fleckchen aufmerksam beäugt, kleine Erinnerungsstreiche aus der Kindheit aufkeimen lässt und mit einem weitläufig angesiedelten Nachbarn erste Kontakte aufnimmt. Das Leben wird mit neuem Vokabular und einer neuen Semantik unterlegt, im Zweifelsfall obsiegen Neugierde und Abenteuerlust.

Während sich Pia allmählich aufs Internet zurückzieht um zu beobachten, was in der echten Welt draußen geschieht, tut sich Stefan immer öfter mit dem Nachbarn zusammen um wie ein echter Mann Rentiere zu fangen und zu schlachten. Tatsächlich macht das Schlachten richtig Mannes-Freude, wenn man die ersten Hemmschwellen abgelegt hat.

Doch echte Bruchlinien halten sich nie an äußere Umstände und gestaltete Oberflächen, Bruchlinien sind dazu da, dass an ihnen die Welt auseinanderbricht.

Während Stefan wieder einmal auf Mannestour zum Schlachten ausrückt, packt Pia die wichtigsten Sachen zusammen und flüchtet nach Stockholm ins Hotel. Der Bruch ist umso heftiger, als er in einer scheinbar natürlichen Idylle geschieht. Nirgendwo erscheint einem die Heftigkeit der Realität so klar wie in der Natur. Stefan rudert einsam mit dem Boot herum, bedauert die Entscheidung, auf die Insel gezogen zu sein. Das letzte Kapitel handelt vom Verschwinden, "zwei weiße Striche in dunkler Nacht".

Ekkehart Baumgartner erzählt von der Unterseite her über jene aufpolierten Figuren, die uns mal als Seitenblicke, mal als Auswanderer, mal als Naturliebhaber wie Fernsehserien begleiten. Hinter dem glatten Schein dieser Typen herrscht oft blanke Fassungslosigkeit, eine brüchige Maßnahme ersetzt die andere, selbst bei Veränderungen wird das eine Lebensklischee vom nächsten ersetzt.

So ticken eben moderne Helden, die nach Versatzstücken leben statt nach einem eigenen Programm. Das Ende solcher Helden gleicht einem unendlichen Abspann eines zu Tode gedrehten Films. - Eine spannende Gesellschaftsanalyse.

Ekkehart Baumgartner, Bruchlinien. Roman.
Innsbruck: Kyrene 2009. 146 Seiten. 17,90. EUR. ISBN 978-3-90009-56-4.

 

Weiterführender Link:
Kyrene-Verlag

 

Helmuth Schönauer, 04-03-2010

Bibliographie

AutorIn

Ekkehart Baumgartner

Buchtitel

Bruchlinien

Erscheinungsort

Innsbruck

Erscheinungsjahr

2009

Verlag

Kyrene

Seitenzahl

146

Preis in EUR

17,90

ISBN

978-3-90009-56-4

Kurzbiographie AutorIn

Ekkehart Baumgartner, geb. 1964, lebt in München.