Jáchym Topol, Die Teufelswerkstatt

Buch-CoverIm normalen Kontext gilt Theresienstadt als ein Ort des Schreckens, an dem die Nazis ein KZ-errichtet haben und an dem es eine Gedenkstätte gibt.

Jáchym Topol freilich fährt mit seinem Roman dieser Semantik ordentlich in die Parade und versetzt die Leser mit seinen unerwarteten Tabu-Brüchen vorerst in ziemlichen Schrecken, denn die Reaktion lautet fürs erste, darf man so erzählen?

Der Ich-Erzähler kommt nämlich aus Theresienstadt und beäugt argwöhnisch jene dritte Generation der Holocaust-Nachfahren, die ihre Suche nach dem Schrecken der Vergangenheit in einen persönlichen Psycho-Kitzel umwandeln. Abschätzig werden diese Typen Pritschen-Sucher genannt.

Bislang hat der Erzähler vor allem Ziegen gehütet, die den Rasen rund um Theresienstadt sauber halten. Sein Vater war ein hoch dekorierter Militarist, den er im Zorn von der Burgmauer gestoßen hat, weshalb er selbst ins Gefängnis musste, statt wie geplant Lehrer zu werden.

Theresienstadt ist militärisch rechtwinklig angelegt, deswegen kennst du dich dort aus, du Landpomeranze, Prag ist Mittelalter, daher verwinkelt, verbogen krumm, Sarah erklärt mir, warum ich mich ohne sie in Prag verlaufen würde. (54)

Die Gruppe rund um den Erzähler will aus diesem Theresienstadt einen Ort des anderen Gedenkens machen. Es gibt Ghetto-Pizza, Bierkrüge mit brutalen Aufschriften und einen Souvenirhandel voller Kitsch als Antwort auf die Gedenkkultur. Freilich wird das der Öffentlichkeit zu viel, und die Gedenk-Kitsch-Kultur muss Theresienstadt verlassen.

Um zu beweisen, dass der Schrecken ganz woanders sitzt und mit einer braven Gedenkkultur nicht abgewickelt werden kann, wendet sich der Erzähler dem Grauen in Weißrussland zu, wo er auf ein brutales Museum stößt. Ähnlich wie Geologen Sandschichten abklopfen, bauen hier Museumsgeologen die Schichten der verschiedenen Genozide ab.

Die globalisierte Welt ist schon aufgeteilt: Thailand - Sex, Italien - Meer und bildende Kunst, Holland - Holzschuhe und Käse, na, und Weißrußland, das ist der Horrortrip, hab ich Recht? [...] Besucht die europäische Genozid-Gedenkstätte, die Teufelswerkstatt! (147)

In den Katakomben von Minsk und in den verstohlenen Wäldern der Umgebung liegen die diversen Gräueltaten der jeweiligen Diktaturen begraben. Katyn ist nichts gegen das, was hier in der Teufelswerkstatt vor sich gegangen ist, heißt es einmal lakonisch.

Jáchym Topol erzählt jenseits jener vereinbarten Konvention, wie man über den Schrecken erzählen könnte. Seine Teufelswerkstatt ist ein brutaler Text, der niemandem etwas schenkt, dem Autor nicht, dem Leser nicht, der Geschichte nicht. Natürlich lässt es sich fragen, wie weit Literatur gehen darf. Jáchym Topols Antwort ist, sie muss an jegliche Grenze gehen!

Jáchym Topol, Die Teufelswerkstatt. Roman. A. d. Tschech. von Eva Profousová. [Orig.: Chladnou zemi, Prag 2009].
Berlin: Suhrkamp 2010. 199 Seiten. EUR 25,50. ISBN 978-3-518-42144-4.

 

Weiterführende Links:
Suhrkamp-Verlag: Jáchym Topol, Die Teufelswerkstatt
Wikipedia: Jachym Topol

 

Helmuth Schönauer, 04-08-2010

Bibliographie

AutorIn

Jáchym Topol

Buchtitel

Die Teufelswerkstatt

Originaltitel

Chladnou zemi

Erscheinungsort

Berlin

Erscheinungsjahr

2010

Verlag

Suhrkamp

Übersetzung

Eva Profousová

Seitenzahl

199

Preis in EUR

25,50

ISBN

978-3-518-42144-4

Kurzbiographie AutorIn

Jáchym Topol, geb. 1962 in Prag, lebt in Prag.

Themenbereiche