Dmytro Pavlycko, Europas Fürstin

Buch-CoverWie aus der Pistole geschossen fallen beim Begriff Ukrainische Literatur die Namen Andruchowytsch, Deresch und Zhadan. Diesem Dreigestirn des anarcho-narrativen Wahnsinns ist es zu verdanken, dass die Literatur der Ukraine momentan in aller Leser-Munde ist.

Daneben gibt es selbstverständlich jede Menge großartiger Literatur, deren Erzeuger oft den simplen Nachteil hinnehmen müssen, vom jeweiligen System bis zur Auslöschung verfolgt worden zu sein.

Einer dieser von den jeweiligen Systemen lange Verachteten ist Dmytro Pavlycko. Als Sechzehnjähriger schloss er sich 1945 der Ukrainischen Aufständischen Armee an und wurde prompt vom sowjetischen NKWD ein Jahr lang eingesperrt.

1990 trat er aus der kommunistischen Partei aus und wurde Abgeordneter im neuen Parlament der Ukraine, er gilt als Mitverfasser der Unabhängigkeitserklärung 1991. Diese staatstragenden Themen zur Unzeit spiegeln sich auch in den unzähligen Gedichten wider, deren hiesige Auswahl auf die drei Zyklen zurückgeht: Gefeilte Worte (1968), Der Fingerhut (2001 und Drei Strophen (2007).

In Zeiten politischer Brisanz verlegt sich der Autor auf alte Erinnerungen, den Singsang halb verschollener Sagen und lyrische Ur-Bilder von Liebe, Sehnsucht und dem ewigen Kreislauf der Natur. In dieses unauffällige Gerüst sind freilich die politischen Botschaften verpackt, der Aufruf zur Eigenständigkeit der Ukraine, die Vorsicht gegenüber der Sowjetunion, die Erde aus dem Grab des Nationalhelden Taras.

So ist auch der Titel Europas Fürstin ein Begriff aus einem Gedicht voller Aufbruchsstimmung und Euphorie.

Grüne Feste // Gras auf der Heuwiese / Gras auf dem Boden / Gras in der Hütte / Gras auf dem Schuppen // Durch dieses Gras / wandelt ein Mädchen / in leiser Unruhe / mit weißen Füßchen // Das Mädchen watet / in grünen Fluten / mit weißen Füßchen / geküsst auf Knie // Auf Knie und Schenkel / Zehen und Fersen / Das Mädchen wandelt / Europas Fürstin // Blicke nicht um dich / Du meine Nixe / Vorbei ist das Leben / Ich habe kein Bedauern. // Ich muss genauso / in Gras mich verwandeln / um deine Füße / mit Tau zu benetzen / mit kaltem Kusse / bei herbem Verlangen / dich ganz zu bedecken / mitsamt dem Kopfe. (35)

Dieser getragene Ton der Gedichte funkelt an manchen Stellen auf wie eine feurige Parteitags-Rede, kuschelt sich aber dann wieder streichelfein zusammen um Alltagsthemen wie Zahnarzt, Pfeife, Einsamkeit oder Fledermaus.

Eingekuschelt in diese unauffälligen Themen stechen dann die politischen Aufreißer umso heftiger hervor, Stalins Geschenk, Ausgestrichene Zeilen, Ukraine.

Wie sollte diese geheime Kraft heißen, / Die Fähigkeit aus dem Sarg aufzustehen? / Du bist - Ukraine! Darauf will ich verweisen / Und dich rufen - komm, um zu bestehen! (167)

Diese Gedichtsammlung, die zum achtzigsten Geburtstag des Autors erschienen ist, gibt einen seriösen Einblick in das Werk Dmytro Pavlyckos, sie zeigt in lyrischen Anschnitten die verschiedenen Zeitgelage eines Staates, in dem es ein Jahrhundert lang drunter und drüber gegangen ist, und erstaunlich ist die Durchhaltekraft der Lyrik, die sich ungekühlt durch die Gezeiten bohrt.

Dmytro Pavlycko, Europas Fürstin. Gedichte. Ukrainisch und Deutsch / Dmytro Pavlycko. Dt. von Jona Gruber u. a.. Hrsg. und mit einem Nachw. von Mykola Zymomrya.
Dresden: Thelem 2010. ( = Kleine slavische Bibliothek). 277 Seiten. EUR 19,80. ISBN 978-3-939888-73-4.

 

Helmuth Schönauer, 30-08-2010

Bibliographie

AutorIn

Dmytro Pavlycko

Buchtitel

Europas Fürstin

Erscheinungsort

Dresden

Erscheinungsjahr

2010

Verlag

Thelem

Herausgeber

Mykola Zymomrya

Übersetzung

Jona Gruber u.a.

Seitenzahl

277

Preis in EUR

19,80

ISBN

978-3-939888-73-4

Kurzbiographie AutorIn

Dmytro Pavlycko, geb. 1929 in Stopcativ Kreis Kosiv, lebt in Kiew.

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