Sigitas Parulskis, Drei Sekunden Himmel
Manchmal fassen Romane einen zeitkritischen Löffel aus und kratzen damit die Geschehnisse eine ganzen Generation mit ein paar Sätzen aus dem Topf der Zeit.
Sigitas Parulskis nennt seinen Roman drei Sekunden, weil sich offensichtlich die wesentlichsten Ereignisse auf diese Zeiteinheit zusammenstutzen lassen. Die drei Sekunden haben freilich noch einen handfesten Sinn, militärischen Fallschirmspringer müssen aus Sicherheitsgründen drei Sekunden im freien Fall die Luft anhalten, ehe sich der Schirm öffnet (oder auch nicht).
Robertas ist mittlerweile vierzig, er sitzt in den Dünen der Ostsee und kriegt seine Gedanken nicht von der Sowjetunion los, in der er als Litauer nach Cottbus versetzt einen brutalen Militärdienst ableisten musste. Aus den Erfahrungen der untergegangenen UdSSR, den eher misslungenen Ansätzen, sein Leben auf die Reihe zu kriegen, und einer Liebes-Option, die eher in schmachtender Romantik als in handfeste Beziehung verläuft, mixt sich der Held eine Analyse seiner Generation zusammen, die sich gewaschen hat.
Die Generation, die etwa in den sechziger Jahren in die Welt gestoßen wurde [...], sieht überhaupt nichts. Zu dieser Generation gehöre ich. Zu einer Generation, die keinerlei besondere Merkmale hat, einer Generation fast ohne Eigenschaften. [...] Es ist eine Generation, die den Drogen einen gewissen Tribut gezollt und auch Blut in Afghanistan gelassen hat. Doch das sind eher Ausnahmen als die Regel. Die einzige Philosophie dieser Generation ist das Nichtvorhandensein einer Philosophie oder die Vermeidung, sich einer Philosophie zu verschreiben. Dieses theoretische Vakuum füllt auf praktischer Ebene der Alkohol. (8)
Quasi mit dem Wellenschlag des Meeres vor den Dünen werden die Gedanken ins Hirn vorn Robertas gespült. Aus der Szenerie der Fallschirmspringer kennt er dieses bodenlose Gefühl, das jäh zu Ende ist, wenn man es als bodenlos wahr nimmt.
Den Sekunden sachten Schwebens folgt unbarmherzig der harte Aufprall auf den Boden. Die Einsätze sind letztlich sinnlos, einmal am Boden angelangt wird der Fallschirm zusammengerollt und die Schikanen des Alltags setzen aus der Hüfte heraus ein. Das eigene Leben, die Sowjetunion, die Ausbildner-Schweine von Cottbus, es ist letztlich ein Einerlei wie die Wellen vor der Düne.
Sigitas Parulskis kümmert sich mit romantischen Handreichungen um seinen Helden, dass etwas Lebensbrauchbares aus ihm wird. Aber der Held beharrt auf seiner anarchistisch fundierten Schicksalslosigkeit. Eine kluge Beschreibung einer ganzen Generation.
Sigitas Parulskis, Drei Sekunden Himmel. Roman. A. d. Litauischen von Claudia Sinnig. [Orig.: Trys sekundes dangaus, Vilnius 2002].
Berlin: Claassen 2009. 248 Seiten. EUR 19,90. ISBN 978-3-546-00448-0.