Bernhard Kathan, Hungerkünstler

Buch-CoverDer Künstlerberuf wird im Volksmund gerne als Hungerleider-Beruf dargestellt, das heißt, kaum jemand kann von seiner Kunst leben. Dass es das Hungern auch als Kunstinhalt gibt und der Trance-Zustand beim Verhungern in künstlerische Höchst-Sphären führen kann, ist die andere Seite des Hungerns.

Bernhard Kathan, Experte für Ernährung in der Literatur und essbare und nichtessbare Tiere im Kulturbetrieb, geht in seinem Essay einigen Hungerkünstlern nach. So gibt es erstaunlich viele Texte, die einfach mit dem Hunger zu tun haben, ob bei Knut Hamsun, Daniil Charms, Gogol oder Kafka.

Kafka wog in Winterkleidung 49 Kilogramm und konnte nur noch flüstern. Das Essen fiel ihm schwer. Er konnte nur noch breiige Nahrung zu sich nehmen. Selbst das Schlucken von Wasser wurde ihm nahezu unmöglich, weshalb er häufig Durst litt. Er verhungerte langsam. 2. Juni: Kafka fühlte sich etwas besser. Am 3. Juni starb er. (195)

Dem Hungerkünstler dient der eigene Körper schließlich als Nahrung. Dabei kann es durchaus religiös zugehen, wie manche Hostien-Experten und andere Gurus der Mystik gerne berichten.
Meist hat die Hungerei aber handfeste gesellschaftliche Umstände. Daniil Charms wurde während der Belagerung Leningrads durch die Nazis in die Psychiatrie gesteckt, weil er über Hunger geschrieben hatte. Selbstverständlich verhungerte er.

Der Schriftsteller Jesse Thoor verstarb schließlich 1952 im Krankenhaus Lienz, nachdem er jahrelang umständlich von der körperlichen Himmelfahrt Mariens in Voll-Trance geträumt hatte. Der Hunger nach Transzendenz geht einerseits verinnerlichte Wege, andererseits kann er auch zu handfesten politischen Aktionen führen, wie beim Bregenzer Wälder Bauern-Autor Franz Michael Felder, der in seinem Hunger alles lesend verschlang und die ersten Käse-Genossenschaften gründete.

Bernhard Kathan rollt in meditativen Schleifen allerhand Hunger-Fälle in der Literatur auf, eine besonders starke Erzähl-Achse bildet dabei das Leben von Simone Weil, die so körperlos  speisefrei und leicht werden wollte wie während eines Fallschirmsprungs.

Um den Zustand des literarischen Hungerns vielleicht anzudeuten, hat Bernhard Kathan aus Texten der betreffenden Hungerkünstler Collagen gebastelt, die nicht zum Lesen sind, sondern aus Gründen der Leichtigkeit nur zum Hören geeignet sind. Auf der beigelegten CD sind daher Texte aufgespielt, die den literarischen Zustand des Hungerns perfekt wiedergeben.

Bernhard Kathan, Hungerkünstler. Essay.
Hohenems: Limbus 2010. 204 Seiten. + CD. EUR 18,90. ISBN 978-3-902534-39-2.

Weiterführende Links:
Limbus-Verlag: Bernhard Kathan, Hungerkünstler
Wikipedia: Bernhard Kathan

 

Helmuth Schönauer, 21-09-2010

Bibliographie

AutorIn

Bernhard Kathan

Buchtitel

Hungerkünstler

Erscheinungsort

Hohenems

Erscheinungsjahr

2010

Verlag

Limbus

Seitenzahl

204

Preis in EUR

18,90

ISBN

978-3-902534-39-2

Kurzbiographie AutorIn

Bernhard Kathan, geb. 1953 in Fraxern, lebt in Innsbruck.