Utta Roy-Seifert, Der Webfehler

Buch-CoverEs gibt diese unauffälligen Berufe, die niemand wahrnimmt, deren Dienste aber ganze Generationen in Anspruch nehmen. Das Übersetzen ist so ein Beruf.

Oft scheint nicht einmal der Name der Übersetzerin auf, dabei ist es meistens gerade sie, die einem Text erst zur Wahrnehmung verhilft, indem sie ihm originäre Substanz verleiht.

Utta Roy-Seifert ist anerkannte Übersetzerin, im Einstieg zu ihren Erinnerungen schreibt sie, dass sie ihrer stillen Arbeit ein paar Gedanken unterlegen möchte. Dabei handelt es sich nicht um Erinnerungen im streng biographischen Sinn, sondern aus einem Depot-Haufen aus scheinbar gewöhnlichen Lebensbausteinen entsteht letztlich etwas wie ein abgerundetes Leben.

Die Stationen dieses Lebens sind Kindheit in Breslau und Berlin, unauffälliges Durchkommen durch den Krieg, Urlaub im Ötztal, Fuß fassen in der englischen Sprache, Übersetzungen. Die Gefühlsschattierungen reichen über einen Vater, der ab und zu die Familie verlässt und untertaucht, über eine echte Liebe zu einer komplizierten Liebe. Der Titel "Webfehler" geht auf einen sarkastischen Kommentar in der Nazi-Zeit zurück, als man die Tatsache, dass der Großvater Jude war, als Webfehler bezeichnet hat.

1939, noch im Frieden. Eine sehr lange Bahnfahrt von Berlin nach Österreich, das seit eineinhalb Jahren zu Deutschland gehörte (und seither Ostmark genannt wurde). Für Deutsche war es, auch wenn sie keine Nazis waren, sehr verlockend, einmal dort Ferien zu machen. Vater kannte Österreich von einem früheren Aufenthalt, Wien zumindest. Dort stiegen wir aber nur um.

An die weitere Fahrt habe ich keine Erinnerung mehr, nur an den letzten Teil der Reise ins Ötztal hinein. Der war besonders uns Flachländern nicht ganz geheuer: Der Autobus fuhr in ziemlich rasantem Tempo die schmale Serpentinenstraße hinauf, man schaute von der abschüssigen Seite der Straße lieber nicht ins Tal hinunter. (40)

Manche Ereignisse wie der Luftkrieg über Deutschland erzählt die Autorin mit den Erlebnisaugen des Kindes und den Lektüre-Augen einer späteren Zeit, als sie etwa W. G. Sebalds Luftkrieg und Literatur gelesen hat.

Auch sonst gehen Lektüre und Leben oft stille Wege, Ilse Aichinger hat die Autorin wohl in den fünfziger Jahren gekannt, aber jetzt kann sich die Autorin nicht mehr an die Übersetzerin erinnern. Gegen Ende seufzt Utta Roy-Seifert einmal kurz durch, als sie meint, dass beinahe alle Bekannten bereits zu Toten geworden sind. (126)

Fast hat es den Anschein, als ob ein Leben abzuwickeln genau so vor sich gehen müsse wie eine Übersetzung anfertigen: Still, unauffällig, zurückgenommen, Werkgetreu. Der Webfehler ist vielleicht eine Übersetzung des eigenen Lebens in das eigene Original. - Eine sehr bescheidene und wohltuend sinnhafte Anschauung!

Utta Roy-Seifert, Der Webfehler. Erinnerungen.
Hohenems: Limbus 2010. 128 Seiten. EUR 14,90. ISBN 978-3-902534-35-4.

 

Helmuth Schönauer, 24-09-2010

Bibliographie

AutorIn

Utta Roy-Seifert

Buchtitel

Der Webfehler

Erscheinungsort

Hohenems

Erscheinungsjahr

2010

Verlag

Limbus

Seitenzahl

128

Preis in EUR

14,90

ISBN

978-3-902534-35-4

Kurzbiographie AutorIn

Utta Roy-Seifert, geb. 1926 in Breslau / Schlesien, lebt in Wien.