Rolf Dobelli, Massimo Marini

Buch-CoverManchmal kann ein Roman eine verzwickte Situation lösen, wenn er diese Verknüpfung ungelöster Probleme zum Thema macht.

In Rolf Dobellis Roman Massimo Marini geht es schlicht um ein Stück Schweizer Identität und um die Unmöglichkeit, ohne schroffe Wunden in der Seele alt zu werden.

Die Hauptfigur Massimo Marini trägt alle Züge für einen modernen Schweizer Helden in sich. In den fünfziger Jahren von seinen italienischen Eltern in einem Koffer ins Land geschmuggelt entgeht seine Familie knapp der Abschiebung durch ein Volksbegehren gegen Überfremdung, das glücklicherweise abgelehnt wird. Vater baut eine Baufirma auf, der Sohn studiert und wird 68-er Kämpfer. Später übernimmt er die Baufirma des Vaters und spezialisiert sich auf Tunnelbau. Als Höhepunkt der Karriere erhält er den Zuschlag für ein Los des Gotthard-Tunnels. Dieser Tunnel ist das Rückgrat der Schweizer Identität.

Massimo Marinis Karriere lässt sich prägnant zusammenfassen.

Massimos lebenslanges Experiment an Standhaftigkeit. Seine erstaunlichen Wandlungen dabei. Vom italienischen Immigrantenkind zum Zürcher Gesellschaftslöwen. Vom Opernhausdemonstranten zum Opernsponsor. Vom Existenzphilosophen zum Bauunternehmen. Vom Tunnelbohrer zum Stradivari-Besitzer. Vom Linken zum Rechten. Vom Tiefen zum Hohen. Vom Süden zum Norden. Seine monströse Bewegung auf dem Koordinatennetz des Lebens. Und dann das Aufblitzen einer Frau, das alles zerstörte. Die Größe seines Aufstiegs und Falls. Die Chronologie des Schreckens. (359)

Vorgeführt wird die Geschichte über Identität, Karriere und Sinn des Lebens an einer turbulenten Familiengeschichte. Schon während der Studentenzeit gibt es die Liebe bis in den Tod, später verliebt sich der Held in eine frigide Musikerin, ehe sein Sohn entführt und getötet wird. Und auch der Erzähler ist ärger in die Geschichte verwickelt, als er es anfangs wahr haben will.

Das Unkonventionelle an diesem Roman ist seine Erzählposition. Ein Rechtsanwalt, quasi der Herr über wahr und falsch, erzählt die Geschichte während eines langen Aufenthalts in einer psychiatrischen Klinik. Das Schreiben ist für ihn eine Art Therapie, für uns Leser ist dieser kaputte Burnout-Zustand freilich die einzige Quelle, aus der der höhere Sinn sprudelt.

Die Botschaft von allem: Intensives Leben macht müde, wenn nicht gar kaputt. So wie sich ein Land für jede Generation seine Helden zusammenklonen muss, müssen auch wir Alltagshelden unseres eigenen Lebens immer wieder erschöpft die eigene Geschichte zusammenkratzen. Mühsal kann aufregend sein, zumal wenn sie in höheren Kreisen spielt!

Rolf Dobelli, Massimo Marini. Roman.
Zürich: Diogenes 2010. 384 Seiten. EUR 21,90. ISBN 978-3-257-06754-5.

 

Helmuth Schönauer, 06-10-2010

Bibliographie

AutorIn

Rolf Dobelli

Buchtitel

Massimo Marini

Erscheinungsort

Zürich

Erscheinungsjahr

2010

Verlag

Diogenes

Seitenzahl

384

Preis in EUR

21,90

ISBN

978-3-257-06754-5

Kurzbiographie AutorIn

Rolf Dobelli, geb. 1966, lebt in Luzern.