Selma Mahlknecht, Helena

Buch-Cover

Sagen sind zeitlos und ein deppensicherer Stoff. Wenn jemand Sagen oder Mythen neu erzählt, geht es immer darum, welche rigide Gesellschaft dadurch erzählerisch unterwandert werden soll.

So hat Grillparzer tapfer mit Sagenstoff gegen Metternich gekämpft, DDR-Autorinnen legten dem Honecker manch mythologisches Ei und Selma Mahlknecht meldet sich mit dem Roman Helena aus dem mythologisch abgekämpften Bauch der Südtiroler "Durnikratie".

Selma Mahlknecht verlegt im Roman ihren Erzählstandpunkt in die antike Heldin Helena, die zwar von historischen Figuren und Göttern umgeben ist, aber das Bewusstsein einer Frau aus der Gegenwart hat. Mit diesem erzähltechnischen Kunstgriff gelingt es der Autorin, emanzipatorische Aufklärung und Männer-mythologische Besessenheit auf die Reihe zu bringen.

Helena ist vor allem eines: schön. Aber diese Schönheit macht die Männer verrückt, sie entführen Helena, degradieren sie zur Ware, die Höchstpreise erzielt, führen Kriege um sie und verachten sie schließlich und schieben sie ins ägyptische Exil ab. In den drei Stationen Sparta, das Meer und das schwarze Land erlebt Helena Schwangerschaften, Totgeburten und Raub der eigenen Kinder am laufenden Band. Am Schluss wird sie wie eine ?Milchkuh als Amme in einen noblen Haushalt nach Ägypten transferiert, wo sie zuerst die gebrechliche Nofret am Leben erhält und in der Folge für deren Ausbildung sorgt.

Bildung ist das einzige, was man vielleicht auch dann noch hat, wenn man nichts mehr hat, nach diesem Motto erzählt Helena der Nofret ihr Leben, ehe sie abermals verstoßen wird.

Meine Geschichte ist in mir begraben. Sie berührt mich nicht mehr. (143)

Die Lebensweisheiten der Helena sind berührend realistisch.

Ich habe gelernt, Abschied zu nehmen. Nun lerne ich, anzukommen. (214)

Selma Mahlknecht erzählt wie in Trance bei einer Therapiesitzung. Je mehr die Männer das Heldenhafte oder gar Göttliche herauskehren, umso kindischer und gefährlicher werden sie. Als etwa auf dem Schiff die große Flaute ausbricht, sind es die Männer, die jämmerlich bald einmal an die Grenzen ihrer Substanz geraten. Anderseits ist ein voller männlicher Hormonsack Voraussetzung für ständige Kriege, Planlosigkeit und defätistisches Agieren.

Helena als gedemütigte Schönheit kann diesem männlichen Treiben nur fassungslos zusehen und für sich eine Gegenwelt des Überlebens installieren. Fremdheit, Unruhe, permanente Rastlosigkeit sind die Begleiter eines solchen durchgepeitschten Lebens.

Die Geschichte um Helena ist so offen erzählt, dass sie sich durchaus in jeden Landstrich verlegen lässt. So lassen sich wohl auch in Südtirol genug Machos und Halbgötter ausmachen, die jede Helena verschwinden lassen.

Selma Mahlknecht, Helena. Roman.
Bozen: Raetia 2010, 216 Seiten. EUR 19,-. ISBN 978-88-7283-384-1.

 

Helmuth Schönauer, 27-10-2010

Bibliographie

AutorIn

Selma Mahlknecht

Buchtitel

Helena

Erscheinungsort

Bozen

Erscheinungsjahr

2010

Verlag

Raetia

Seitenzahl

216

Preis in EUR

19,00

ISBN

88-7283-384-1

Kurzbiographie AutorIn

Selma Mahlknecht, geb. 1979 in Meran, lebt in Rabland und Wien.

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