Thomas Bremer / Titus Heydenreich (Hrsg.), Zibaldone, No 49

Buch-CoverOft muss man ein paar Schritte zurückgehen, um einen frischen Blick auf einen Gegenstand zu entwickeln.

Die Zeitschrift Zibaldone, was in Anlehnung an die Aphorismen von Giacomo Leopardi etwa Sammelsurium bedeutet, wird in Halle und Erlangen redigiert und in Tübingen publiziert. Interessant ist zweimal im Jahr, was aus dieser Fernvermessung an neuen Erkenntnissen der italienischen Gegenwartskultur herauskommt.

Das aktuelle Heft 49 aus dem Jahre 2010 ist Südtirol / Alto Adige gewidmet. Zu Beginn berichtet Josef Rohrer von Meran, das zwischen 1870 und 1889 Kaiserin Sissi als Zufluchtsburg gedient hat. Dabei schwankte die örtliche Fremdenverkehrsleitung zwischen Euphorie, einen so majestätisch potenten Gast am Stadt-Gelände beherbergen zu dürfen, und der Angst, durch eine falsche Bewegung den zickig-anspruchsvollen VIP zu verscheuchen. Ein Problem, das auch heutigen Tourismushochburgen nicht fremd ist.

Martha Verdorfer geht dem Schicksal von Südtirolerinnen in der Zeit zwischen den Weltkriegen nach, als sie in italienischen Städten als Dienstmädchen auftreten mussten. Unter dem vagen Begriff Dienstmädchen ist von der Mithilfe im Haushalt bis hin zur intellektuellen Mitarbeit in halböffentlichen Stellen alles zu verstehen. Die Südtirolerinnen galten als gelehrig und assimilierten sich offensichtlich bestens in Mailand und anderen faschistischen Großstädten.

Dem Thema Südtirol im Heimatfilm und Nachkriegskino widmet sich das Trio Friehs, Winkler, Yazdanpanah. Dabei kommt der unverwüstliche Luis Trenker zum Großeinsatz, urban-ideologisch konterkariert von Pier Paolo Pasolini. Alles läuft auf eine Flucht in die Dolomiten hinaus, worin Träumer und Flüchtende ein Tourismusparadies voller Einsamkeit und robinsonadischem Überlebenskampf erwarten. Der im eigenen Mythos festsitzende Luis Trenker hingegen versucht vom Heimatfilm wegzukommen und wagt filmische Experimente.

Carlo Romeo versucht die italienisch-sprachige Literatur in Südtirol ausfindig zu machen, stößt aber nur auf vereinzelte Beispiele wie etwa Paolo Crazy Carnevale.

Das gegenwärtige Panorama der Autoren, Gattungen und Initiativen ist mittlerweile so unterschiedlich wie lebendig, sodass es schwer ist, es in einen Rahmen fassen zu wollen. (109)

Sprachen in Südtirol, Südtirol und die Autonomie, Städtebau als Eroberungsstrategie, die Beinhäuser des italienischen Faschismus in Südtirol sind weitere Schlagwörter zu Artikeln, die man in dieser ungewohnten Schärfe im eigenen Land oft nicht zu sehen bekommt.

Rezensionen und ausführliches Autorenverzeichnis runden das Forum ab, das laut Klappentext geschrieben und fotografiert ist von Schriftstellern, Journalisten, Wissenschaftlern ?für alle, die nie genug haben können von Italien.

Zibaldone. Zeitschrift für Italienische Kultur der Gegenwart. Hrsg. von Thomas Bremer und Titus Heydenreich. No 49. Südtirol / Alto Adige.
Tübingen: Stauffenburg Verlag 2010. 156 Seiten. EUR 12,00, ISBN 978-3-86057-852-0.

 

Helmuth Schönauer, 06-12-2010

Bibliographie

AutorIn

Thomas Bremer / Titus Heydenreich (Hrsg.)

Buchtitel

Zibaldone, No 49

Erscheinungsort

Tübingen

Erscheinungsjahr

2010

Verlag

Stauffenburg Verlag

Herausgeber

Thomas Bremer / Titus Heydenreich

Seitenzahl

156

Preis in EUR

12,00

ISBN

978-3-86057-852-0