Lukas Hartmann, Finsteres Glück

Buch-CoverEin beliebtes Gesellschaftsspiel unserer Tage besteht darin, Konstellationen ausfindig zu machen, die einen gerade noch von einer Familie sprechen lassen. So handeln die zeitgenössischen Romane oft von jener skurrilen Dekonstruktion der Beziehungen, die einen die klassische Vorabend-Familie völlig vergessen lassen.

Lukas Hartmann führt in seinem Roman zwei Bruch-Familien zu einem Stück finsteren Glück zusammen.

Die Psychologin Eliane hat auf fachlicher Ebene alles im Griff, zu Hause wachsen ihr als alleinerziehender Mutter freilich die beiden Töchter ziemlich zum Hals heraus. Da wird sie in der Nacht ins Krankenhaus gerufen, es hat eine schrecklichen Unfall in einem Tunnel gegeben, bei dem eine intakte Familie ausgelöscht worden ist. Nur der achtjährige Yves hat überlebt und braucht eine Psychologin, wenn er aus dem Koma erwacht.

So fachlich cool kann Eliane gar nicht vorgehen, dass ihr nicht die Lust nach einer intakten Familie erwüchse. Sie kümmert sich tierisch um den kleinen Patienten und nimmt Yves sogar bei sich zu Hause auf, bis das Gericht die weitere Vorgangsweise festgelegt hat. Schließlich wird Yves ein hoch gepäppelter Teil der psychologischen Familie, denn bevor nicht alles an seiner Seele erforscht ist, gibt es bei Psychologinnen keine Ruhe.

Allmählich lässt sich die ausgelöschte Familie wenigstens therapeutisch rekonstruieren. Die Eltern haben gestritten, was das Zeug her gab, eine Trennung stand unmittelbar bevor. In einem Anfall von Schicksalsmacht hat Yves vermutlich den Vater im Tunnel so stark irritiert, dass dieser an die Tunnelwand gekläscht ist.

Alle empfinden diese Lösung als Erleichterung, in der Finsternis des Tunnels wartet manchmal das Glück. Unterstützt wird diese Glückstheorie der Finsternis durch das Licht auf dem sogenannten Isenheimer Altar. Matthias Grünewald hat seinen Sohn dabei, als er die berühmten Altartafeln malt. Wortlos in purem Gemälde überwindet der Vater die Finsternis, sein Sohn schaut ihm dabei zu.

Der Himmel. Diese grünschwarze Finsternis. Und doch gibt es darin, am Horizont, einen fahlen Schimmer. Es sei der schwache Abglanz der Erlösungshoffnung, sagt der Vater, ein Lichthauch wie der kaum sichtbare Schein einer Kerze, von der man nicht weiß, ob sie gleich erlischt oder bald wieder aufflammt. (150)

Finsteres Glück ist ein durchaus zeitgeistiger Roman, in dem die Arbeit der Familienpsychologie anhand der Bilder alter Meister dokumentiert wird. So nebenher erfährt der Leser, dass das Familienglück ein Herumirren im finsteren Tunnel ist, manchmal kommen darin sogar Familienmitglieder ums Leben. Lukas Hartmann hält die Situation immer an der Kippe zwischen erwartetem Klischee und unerwarteter Ironie. Eine sehr realistische Erzähl-Leistung.

Lukas Hartmann, Finsteres Glück. Roman.
Zürich: Diogenes 2010. 304 Seiten. EUR 20,50. ISBN 978-3-257-06759-0.

 

Weiterführende Links:
Diogenes-Verlag: Lukas Hartmann, Finsteres Glück
Wikipedia: Lukas Hartmann

 

Helmuth Schönauer, 02-01-2011

Bibliographie

AutorIn

Lukas Hartmann

Buchtitel

Finsteres Glück

Erscheinungsort

Zürich

Erscheinungsjahr

2010

Verlag

Diogenes

Seitenzahl

304

Preis in EUR

EUR 20,50

ISBN

978-3-257-06759-0

Kurzbiographie AutorIn

Lukas Hartmann, geb. 1944 in Bern, lebt in Spiegel bei Bern.

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