Thomas Brunnsteiner, Taten
Manchmal werden Helden so wild, dass der Autor sie unter besondere Obhut nehmen muss.
Thomas Brunnsteiner schreibt in seinem Vorwort an den Leser, dass er sich keine Sorge um den Helden machen müsse, dem Helden gehe es auch nach seinem Abenteuer den Umständen entsprechend gut.
Es passiert nämlich tatsächlich etwas Ungeheures, der Vogelforscher Joseph Lavender wird auf der Insel Aland vor Finnland wahnsinnig und versteht die Welt nicht mehr. "Eines Tages ist alles Aland", heißt es in einem fernen Fluch.
Mein Zorn ist mit dem Korn rundum reif geworden, stellt der Vogelforscher fest. (9)
Um dem eigenen Desaster im Hirn oder dem Dämon in seinem Kopf zu entkommen, muss der Vogelforscher Taten setzen, indem er in das Land ?Taten aufbricht. In einem Abenteuer-Trip, der es locker mit jeder Robinsonade aufnimmt, muss der Vogelforscher nun Kapitel abarbeiten wie Ostsee, Russland, Schweden, Moskau, Aserbeidschan oder Baku. Einerseits reist der Held in diese Gegenden, andererseits tauchen daraus zeitlich verworren installierte Figuren hervor, die ein Abenteuer auslösen oder es schon hinter sich gebracht haben.
Allen diesen Abzweigungen in die Geschichts-, Abenteuer- oder Fantasy-Literatur ist gemein, dass darin philosophische Glanzleistungen der Erkenntnis an Bord der Wahrnehmung gespült werden.
So ist das schwedische Schiff Vasa noch vor der Jungfernfahrt im Hafenbecken gesunken, weil es kopflastig war, nur die Latrinenlöcher haben funktioniert, weil durch sie das eindringende Wasser den Untergang beschleunigen konnte. (47) Offensichtlich ist dieses misslungene Schiff ein schönes Sinnbild unserer Gesellschaft, die noch mitten in der Konstruktionsphase einfach am übermütigen Kopf eingeht und versinkt.
Nichts ist selbstverständlich, wenn man vom Wahnsinn gepackt ist. So stellt sich mittendrin etwa die Frage, ob wir die Luft einatmen oder ob nicht vielmehr sie uns einatmet. (73) Wie in echten Abenteuer-Tragödien muss der Held an seine Grenzen gehen und sich zwischendurch selbst zerstören, um seinen Auftrag zu erfüllen.
Mein Name ist Joseph Lavender. Gewesen. Ich bin Vogelkundler aus Österreich. War. Ich bin nach Aserbeidschan gekommen, weil ich ... Ich bin nach Hause gekommen, weil endlich ... Scheißdreck. (118)
Thomas Brunnsteiner erzählt mit seinem geistig entlegenen Abenteuerroman von Taten als Selbstzweck, von Träumen als Dämonen, von Verstrickungen als Überlebensprogramm. Das Genre der Entdeckungsliteratur wird auf einen Gleithobel gesetzt und gegen die Wand gefahren. Der Vogelkundler als Dummy seiner Taten überlebt offensichtlich, aber wir Leser sind längst während der Lektüre in die Haut des Helden geschlüpft, um alles möglichst hautnah in seinem Körper zu erleben. Eine raffiniert "Taten-reiche" Erzählform!
Thomas Brunnsteiner, Taten. Ein Journal.
Innsbruck: Kyrene 2010. 205 Seiten. EUR 14,90. ISBN 978-3-900009-47-2.