Bora Cosic, Im Ministerium für Mamas Angelegenheiten

Buch-CoverWenn ein Beruf nicht ausreicht, um dem Wahnsinn auf die Sprünge zu helfen, hilft vielleicht ein Gewerbe. Während in einem Beruf die jeweiligen Professionisten unterkommen, hat ein Gewerbe Platz für so gut wie alles, was der Ausgestaltung der Welt mit Sinn dient, man denke nur an das älteste Gewerbe der Welt.

In Bora Cosics Skurrilitäten-Sammlung seltener Gewerbe versuchen kreative Menschen in ungünstigen Zeiten über die Runden zu kommen.

Im Belgrad der 40er Jahre marschieren der Reihe nach die Besatzer mit ihren Armeen durch, die Bevölkerung lebt am Limit und letztlich ohne Moral. Der Vater trinkt um sein Leben, der Onkel kümmert sich um die vielen in der Stadt zurückgebliebenen Frauen und der Großvater versucht über alles sein besessenes Weltbild darüber zu stülpen.

Das alles nimmt ein Erzähler als Kind mit großen Augen und Ohren auf. Längst hat er es sich abgewöhnt, eine Logik hinter den Geschehnissen zu vermuten. Die Tage rennen ohne Gewerbeschein auf einander zu, und die Beteiligten machen das Beste daraus.
Dabei geht es durchaus ernst und tödlich zu, ein deutscher MG-Schütze, der sich eben noch am Dachboden verbarrikadiert hat, ergibt sich und wird von einem russischen Soldaten auf der Stelle erschossen.

Der Russe sagte Macht nichts und hängte sich das Gewehr über die Schulter. Papa war völlig erschüttert. Onkel fragte, habt ihr gesehen, wie man handelt! Mama verbot mir, schau nicht hin, sein Gehirn ist herausgequollen. Das war einer der ersten Tage einer neuen Art zu handeln, einer internationalen, komplizierten, uns bis dahin unbekannten. (72)

Alle Beteiligten handeln offensichtlich auf Gewerbeschein, den sie sich täglich neu ausstellen. Die Endverbraucher der Geschichte sind gleichzeitig die Produzenten der Geschichten.

Kochkunst bis ans Limit, Alltags-Denunziation im Haus, laszives Männergewerbe, das Verrücktwerden-Gewerbe, alle diese Bereiche verlangen neben restlosem Einsatz und Geduld auch ein überirdisches Durchhaltevermögen.

Wann wird das alles aufhören, wann wird dieses verdammte Hundejahr der Vergangenheit angehören und das Leben beginnen, ein menschliches. (99)

Bora Cosic erzählt in einem merkwürdigen Realismus von den Ungeheuerlichkeiten der Zeitgeschichte, gleichzeitig wirken die Episoden aber völlig logisch in einer aus den Fugen geratenen Zeit. In den Ritzen von Alkoholismus, Gerüchteküche und Schnäppchenjagd findet immer noch ein restliches Bewusstsein statt, das in vagen Zügen Alltagspolitik genannt werden kann. Und wo die Politik versagt, hilft das Erzählen, vielleicht ist es das größte Gewerbe der Welt.

Bora Cosic, Im Ministerium für Mamas Angelegenheiten. Geschichten über alle möglichen Gewerbe. A. d. Serb. von Katharina Wolf-Grießhaber. [Orig.: Price o zanatima, Belgrad 2008].
Wien, Bozen: Folio 2011.160 Seiten. EUR 22,90. ISBN 978-3-85256-556-9.

 

Helmuth Schönauer, 25-01-2011

Bibliographie

AutorIn

Bora Cosic

Buchtitel

Im Ministerium für Mamas Angelegenheiten

Erscheinungsort

Bozen

Erscheinungsjahr

2011

Verlag

Folio

Seitenzahl

160

Preis in EUR

EUR 22,90

ISBN

978-3-85256-556-9

Kurzbiographie AutorIn

Bora Cosic, geb. 1932 in Zagreb, lebt seit 1992 in Rovinij und Berlin.