Medienecho auf Harold Pinters Nobelpreis-Rede

Im Rollstuhl sitzend und in eine Decke gehüllt nutzte der für sein politisches Engagement bekannte Autor die ihm gebotene Öffentlichkeit und klagte die gegenwärtige Außenpolitik der USA und Großbritanniens mit deutlichen und scharfen Worten an. Seine Rede hatte - wie zu erwarten war - aber nicht nur Beifall gefunden, sondern auch jene wachgerufen, die bereits an der Verleihung des Literatur-Nobelpreises an Harold Pinter heftige Kritik geübt hatten.

Die Reaktionen der Medien reichten von Beifall und Anerkennung bis hin zur Verunglimpfung des Nobelpreisträgers als "Osama bin Laden Imitation". Pinters Angriff gegen die Außenpolitik der USA wurde in der New York Times z.B. völlig ignoriert lediglich die Bemerkung, dass der Nobelpreis ohnehin oft an linke Schriftsteller verliehen werde, lässt eine Ablehnung erahnen.

Der amerikanische Nachrichtensender CNN verwies auf die herbe Anklage Pinters in seiner Rede gegen Präsident Bush und Premierminister Blair:

Nobel literature laureate Harold Pinter has slammed U.S. President George W. Bush and British Prime Minister Tony Blair in a harsh award lecture, saying they should be prosecuted for the invasion of Iraq.
Nobel laureate slams Bush, Blair. CNN: 8.12.2005

 

Die englische Tageszeitung "The Guardian" verglich Pinter in seiner Videoansprache mit dem Hamm in Samuel Becketts Theaterstück "Endspiel":

It was Beckettian in that Pinter sat in a wheelchair, with a rug over his knees and framed by an image of his younger self, delivering his sombre message: memories of Hamm in Becketts Endgame came to mind. But if Pinters frailty was occasionally visible, there was nothing ailing about his passionate and astonishing speech, which mixed moral vigour with forensic detail.
Passionate Pinters devastating assault on US foreign policy. The Guardian: 8.12.2005

 

Die schwedische Boulevardzeitung "Aftonbladet" verteidigte Harold Pinter gegen seine Kritiker und verwies auf die Freiheit der Rede:

Bei den Reaktionen und Ausfällen gegen Pinter wie bei den Reaktionen gegen jeden, der sich den herrschenden Ansichten nicht fügt ? handelt es sich nicht mehr um Argumente, sondern um Ausschließungen, um Zensur.
zitiert nach: Geteilte Reaktionen auf Harold Pinters Nobelpreisrede.
Berliner Literaturkritik 09-12-05

 

Auch in den großen deutschsprachigen Zeitungen wurde Pinters Rede zum Teil recht heftig kritisiert. Die deutsche Zeitschrift "Der Spiegel" titelte: Eklat bei Nobelpreisrede - Pinters Frontalangriff auf die USA

Wer altersmilde Dankesworte erwartet hatte, wurde von einem Donnerschlag überrascht: Der diesjährige Literaturnobelpreisträger Harold Pinter nutzte seine heute veröffentlichte Rede für eine massive Amerika-Kritik. Fazit: Die USA sind "brutal, verächtlich und skrupellos".
Eklat bei Nobelpreisrede. Der Spiegel 7.12.2005

 

Die Frankfurter Allgemeinen Zeitung verurteilte Pinters Ansprache im Artikel Pinters Nobelpreisrede: "Antworten ohne Fragen" als persönliche Selbstdarstellung und als "kalkulierten Wutausbruch".

In diesem Jahr waren es Alter und Krankheit, die verhinderten, daß der fünfundsiebzigjährige Pinter seine Rede leibhaftig in Stockholm vortrug. Der schwer krebskranke Dramatiker saß im Rollstuhl, in eine Wolldecke gehüllt, aber seine Stimme, so schildern es Beobachter, war kaum weniger kraftvoll als seine Worte. Pinter, der selbst oft auf der Bühne gestanden hat, gilt als ausgezeichneter Schauspieler. In Stockholm hat er sich verschafft, was man in Theaterkreisen als effektvollen Abgang bezeichnet. Denn von einem Abgang muß man reden, weil Pinter seine Rede erkennbar als Vermächtnis angelegt hat.

Es war eine Zornesrede, die am Mittwoch in Stockholm auf Bildschirmen präsentiert wurde. Hatte sich das Publikum im vorigen Jahr bei Elfriede Jelineks Nobelpreisvorlesung erkennbar verjüngt, so war nun das schwedische "Establishment" zurückgekehrt, wie Pinter vermutlich sagen würde. Allerdings zollte Schwedens gute Gesellschaft der Polemik und den Invektiven Pinters überwiegend Zustimmung, der Beifall war herzlich, nicht wenige Anwesende erhoben sich zum Applaus. Zumindest in diesem Saal war Pinters Überzeugung, der zufolge die Vereinigten Staaten und Großbritannien von "Massenmördern und Kriegsverbrechern" geführt werden, offenbar mehrheitsfähig.
Pinters Nobelpreisrede: Antworten ohne Fragen. FAZ: 8.12.2005



Viele Kritiker warfen Pinter vor, seine Nobelpreis-Rede für politische Zwecke missbraucht zu haben. Sein Auftritt im Rollstuhl und mit einer Decke bedeckt, weckte dabei sogar Assoziationen mit Osama bin Laden.

 

Die deutsche Tageszeitung "Die Welt" wirft Pinter einen "pathologischen Hass" gegen die USA vor aber auch die "Wahrheit" für sich selbst in Anspruch nehmen zu wollen:

Unter Hypnose steht offensichtlich Harold Pinter. Jedenfalls scheint er die Unterscheidung von Kunst und Wirklichkeit, die er theoretisch klar an den Anfang seiner Rede setzt, nicht durchhalten zu können. Während er der Kunst die nie zu Ende zu bringende Aufgabe zuschreibt, flüchtige Momente der Wahrheit zu erhaschen, will er im richtigen und also auch im politischen Leben immer hundertprozentig wissen, was Sache ist. Dabei hat er komplett den Überblick verloren. Für die ehrenwerten Ziele von amnesty international engagiert er sich ebenso wie für die Freilassung von Slobodan Milosevic. Der Haß auf Amerika verbindet das Disparate. Nicht jeder erkennt auf den ersten Blick das Pathologische dieses Hasses. Das liegt aber auch an der amerikanischen Politik.
Eine Tirade, was sonst - Harold Pinter. Die Welt, 9. Dezember 2005

 

Ähnliche Vorwürfe werden in der deutschen Tageszeitung TAZ gegen Pinter erhoben:

Der Dramatiker Harold Pinter macht es sich zu einfach. Seine Nobelpreisrede mag auf den ersten Blick ja einen großen Effekt erzielen. Doch bleiben wird von ihr nicht viel. Das liegt nicht einmal daran, dass der Literaturnobelträger in seinem antiamerikanischen Furor einen sehr verkürzten Begriff von Amerika offenbart - die Beispiele amerikanischer Untaten, die Pinter anführt, sind ja richtig. Selbstverständlich kann man den USA weltpolitisch einiges vorwerfen. Nur ist es intellektuell ziemlich dreist, mit solch dramatischer Geste die andere, die helle Seite des US-amerikanischen Imperiums zu unterschlagen. So reden von ihrem Thema Besessene.
[...] Das Suchen nach Wahrheit ordnet Pinter der Sphäre der Kunst zu. In der Sphäre der Politik aber behauptet er, die Wahrheit haben zu können.
Harold Pinters Nobelpreisrede war der Auszeichnung nicht würdig, taz Nr. 7841 vom 9.12.2005

 

In der österreichischen Tageszeitung "Die Presse" wird Pinters Amerika-Kritik zurückgewiesen, wobei Harold Pinters Vidoauftritt sarkastisch mit den Videobotschaften Osama bin Ladens verglichen wird:

Auch der schwerkranke Harold Pinter war nur virtuell in Stockholm. Und er ging noch weiter als E. J. Selbst seine Rede war mehr virtuell als real. Er hetzte gegen die USA, diese Heimat der Tapferen und Freien, als ob es um den Gottseibeiuns ginge, saß bebend im Rollstuhl, verteufelte Bush und Blair, deren Banditenakte. Man kam sich vor wie in einem Jugendwerk: "Die Verbrechen der USA waren systematisch, konstant, infam, unbarmherzig . . ." Amerika betreibe "eine ziemlich kühl operierende Machtmanipulation".
Das klingt alles sehr interessant. Aber was will uns der Meister mit seinem wütenden Auftritt sagen? Ist die Wolldecke, in die er eingehüllt war, eine Anspielung auf den ebenfalls schwer kranken (oder schon toten?) Osama bin Laden, der die USA nicht nur mit Reden attackiert, oder persifliert Pinter nur die von Hass zerfressenen Fundis dieser Welt? Wollte er beweisen, dass er viel besser als Bush Brandreden gegen die Achse des Bösen halten kann?
Gegengift: Der alte Mann und die Wut. Die Presse: 10.12.05

 


Andreas Markt-Huter, 19-12-2005

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